Interview Peter Lynn

„Kites sind phantastisch weil sie für jeden sind!“ Peter Lynn

Ein Interview mit dem „Drachen-Papst“ Peter Lynn über Kites, Deutschland, den Glauben und das Universum. Das Interview wurde im August 2010 geführt.

 

ewigkite.de:
Peter Lynn, wie hat das bei dir mit den Drachen angefangen? Welches war deine erste Erfahrung mit Drachen?

Peter Lynn: Ich denke es war vor der Zeit, an die ich mich erinnern kann. Ich muss sehr jung gewesen sein, denn ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich Drachen nicht geliebt habe. Also sicher seit meinem 3. oder 4. Lebensjahr, aber daran habe ich eben keine Erinnerung mehr.

ewigkite.de: Und wie kam es dazu, dass du Drachen zu deinem Beruf gemacht hast? Du hast einmal gesagt, dass dein Leben sehr glücklich war. Du hattest gute Eltern, alles lief bestens ....

peter lynnimg_0134Peter Lynn: Ja, ich hatte eine gute Kindheit und Erziehung und irgendwie war ich schlau genug ein paar Sachen über die Welt und auch über Aerodynamik zu verstehen. Es hat mich einfach irgendwie ergriffen und mein Herz erreicht. Ich konnte einfach nichts dagegen machen. Ich musste es einfach machen! Ja, vielleicht war es eine verrückte Entscheidung, aber ich hatte keine Wahl. Es war das Einzige, was mich interessiert hat. Ich hätte andere Dinge tun sollen, die für die Welt nützlicher und in vieler Hinsicht besser für die Welt gewesen wären, aber ich konnte mich, aus welchen Gründen auch immer, einfach nicht bremsen: Drachen waren das Ding!

ewigkite.de: Welcher ist dein Lieblingsdrachen?

Peter Lynn: Oh, ich liebe immer den am meisten, an dem ich gerade arbeite! Ich liebe Ray-Kites, die großen, fließenden Einleiner-Drachen, auch weil ich im Moment an einem sehr große Exemplar arbeite. 1250 Quadratmeter.


ewigkite.de: Wer will denn einen solchen Drachen haben?

Peter Lynn: Oh, da gibt es jede Menge Abnehmer.

ewigkite.de: Du bist auch eine Berühmtheit in der Drachenszene, weil du den weltweit größten Drachen hast ...

peter lynnimg_0129Peter Lynn: Oh ja, aber um ehrlich zu sein, ist es recht normal, riesengroße Drachen zu machen. Wir könnten Drachen mit 5 000 oder 10 000 Quadratmeter Fläche herstellen, aber  wir wollen nur Drachen machen, die immer nur ein wenig größer werden als der Vorgänger. Lieber langsamer größer werden, dann hat man mehr Möglichkeiten, sie zu fliegen. Es gibt Orte, da hat man eben nicht so viel Platz dafür. Wenn man einen riesengroßen Drachen baut, dann gibt es eben nicht viele Orte auf dieser Welt, wo man diese fliegen lassen kann.  Aber wenn man einen mit 1000 oder 1200 Quadratmetern macht, dann könnte ich den z.B. auch hier (Anm.: in Lemwerder) fliegen.  Aber wenn wir an die 3000 oder 5000 Quadratmeter kommen, wird es .... na ja ....

ewigkite.de: Eine ganz andere Frage: Warst du selbst schon mal am Kitesurfen?

Peter Lynn: Natürlich!

ewigkite.de: Ach ja, natürlich ....

Peter Lynn: Aber ich habe das nie so gut hingekriegt. Ich habe das gemacht, bevor die meisten Leute damit angefangen haben, aber ich bin zu alt dafür. Selbst als ich angefangen habe, war ich fast 50, so um die 45, und es hat mir zu weh getan (lacht). Und auch sonst: Ich bin nach den Versuchen sehr glücklich, dass ich noch lebe! Und ich bin sehr glücklich, dass ich meine Kinder nicht umgebracht habe, denn ich habe sie als Crash-Test- Dummies benutzt (lacht). Zu der Zeit wussten wir noch nicht genau, wie Kitesurfen funktionieren würde. Ich tippe mal, dass es 1994 oder 1995 war, da war ich sicher, dass es funktionieren würde. Und es war die Zeit, mehr zu tun und Dinge zu entwickeln. Wir haben was getan und mir war klar, dass es etwas Flügelartiges sein musste. Und mir war klar, dass es funktionieren würde!

ewigkite.de: Aber du verfolgst noch immer die Entwicklungen der Kitesurfschirme bei Peter Lynn Kites, oder?

Peter Lynn: Oh ja, selbstverständlich!

ewigkite.de: Welchen findest du da besonders gut?

Peter Lynn: Nun, ich denke, dass die „Arc“-Entwicklung wirklich besonders war. Die Arcs haben etliche Vorteile. Das Problem, welches sie haben, ist, dass sie nicht das optimale Verhältnis von  Kraft  zur jeweiligen Größe haben. Aber sie haben viele  Vorteile in ihrem Flugverhalten.

Wie auch immer, in der Welt des Kitesurfens geht es derzeit viel um  Angeberei, es geht um  Sprünge und darum ein toller Typ zu sein.

Er ist nicht das Produkt für den Großteil des Markts, er bedient eher ein spezielles Marktsegment .

Aber ich weiß, dass ich den Großteil der Entwicklung vor 20 Jahren verpasst habe.

Ich glaube es war 1993, als ich das erste Mal einen Kite zum Surfen geflogen habe. In Italien.  Aber das war es. Aber wir waren  begeistert davon. Es dauerte aber noch 10 Jahre bis die Kites  gut entwickelt waren. Das gab uns damals natürlich die Möglichkeit, weiter zu entwickeln und diese Gelegenheit haben wir ergriffen und weiter gemacht.
Und wir sind sehr glücklich damit, wo wir momentan in der Entwicklung stehen. Und natürlich verkaufen wir jetzt auch unter unserem Markennamen Peter Lynn Leading Edge Inflatable Kites


ewigkite.de:
Du bist nach langer Zeit einmal wieder in Deutschland ...
peter lynnimg_0060 Peter Lynn: Oh ja, ich war mindestens vier oder fünf Jahre nicht mehr hier und erst recht nicht in Lemwerder. Ja, ich mag Deutschland wirklich sehr. Oh nein, es ist vielleicht doch erst zwei Jahre her, dass ich da war. Ich bin für Sachen  zur Drachengeschichte hier gewesen. Ich liebe die Museen in Deutschland – sie sind fantastisch!!!

ewigkite.de: Sie sind fantastisch?

Peter Lynn: Ja, besonders das Deutsche Museum. Ich genieße es, tage-, tage-,tagelang.

ewigkite.de: Wie geht es dir mit der deutschen Lebensart?

Peter Lynn: Ich denke, dass ich sie mehr achte oder verehre als die Deutschen selbst es tun. Ich denke, dass viele Deutsche sich manchmal so fühlen, dass sie meinen, dass das Leben manchmal doch nicht so gut ist, dass sie zu hart arbeiten müssen.

... das Ding ist, dass ihr einen sehr hohen Lebensstandard hervorbringt was die Industrie, Maschinenbau und Straßenbau  angeht und ihr könnt das trotz der Konkurrenz der Billiglohnländer. Das deutsche Maschinenbau/Ingenieurwesen ist zurzeit das Beste der Welt und das auch schon seit einer ganzen Weile. In meinem Gebiet, der Aerodynamik, ist Deutschland führend. Von Lilienthal und so weiter, da gibt es so viel zur frühen Geschichte des Fliegens. Das ist es, was es möglich gemacht hat, was hier in Deutschland passiert. Deutschland liegt mir sehr am Herzen, auch in der Frage, wie es weiter geht.

Ich habe im Besonderen Studien betrieben über die technischen Entwicklungen, die im Süden von Deutschland gemacht wurden. In der Zeit von 1850 bis 1900. Mit Benz, Daimler, Otto, Maybach und Langen. Durch all diese Leute war dieser Teil von Deutschland das Silicon-Valley des 19. Jahrhunderts. Sie haben die moderne Welt definiert. Die Dinge, die sie getan haben, die sie erfunden haben, die Art und Weise, wie sie Dinge gemacht haben, haben unsere moderne Welt, wie wir sie kennen, geformt. Also habe ich spezielle Studien betrieben in diesem bestimmten Bereich Deutschlands und über diese Zeit. Der Erfolg basierte nicht nur darauf. Deutschland war zu dieser Zeit nicht eine Nation, es war die weitsichtige führende Politik, die Bildung für jeden möglich machte und auch ein System wählte in dem leistungsstarke Studenten zusammengebracht wurden mit Mentoren oder Leuten, die gut waren in ihren jeweiligen Gebieten/Wissensfeldern. Die Studenten wurden sehr schnell gut geschult. Davon haben sie profitiert. Das war jetzt nicht so sehr in der Aerodynamik. Es waren mehr Maschinen und solide Technik, aber das hat einfach die Welt verändert. Das ist eine Sache in Deutschland, über die sich viele Leute nicht im Klaren zu sein scheinen, denn es war der Norden von Deutschland, wo die Intellektuellen und das Geld waren, aber es war ein Süddeutscher, der das technische Wunder erfand, das später das Auto wurde. Ich habe viele Stunden damit verbracht, das mit Leuten zu diskutieren und viel Zeit damit verbracht, um zu verstehen, wie das abgelaufen ist. Ich glaube das ist sehr charakteristisch für die Leute hier.

ewigkite.de: Danke so weit.

Du sitzt hier vor einer Kirche und das Interview führt ein Pastor. Was ist deine Meinung über Religion, wenn das okay für dich ist, darüber zu sprechen.

Peter Lynn: Oh, das ist okay darüber zu sprechen! Ich könnte vielleicht bezeichnet werden als ein evangelischer Säkularist (Anm. „secularist“ is a person who believes in the separation of religious and civil affairs).

Religion ist nicht nur eine Zeitverschwendung, sondern ich finde auch, sie ist grundlegend schlecht. Ich denke, sie hat eine Menge Ärger in der Welt verursacht. Vielleicht gibt es einen Punkt wo man sagen kann, dass Religion einfach eine opportunistische Sache ist. Das Problem ist, dass die Leute einfach eine Tendenz haben, dumme Sachen glauben zu wollen und die Religion nutz das zu ihrem Vorteil und missbraucht Menschen.

Meine Ansicht im Allgemeinen ist, dass natürlich entweder alle Religionen falsch liegen oder alle außer einer sind falsch. Weil es so verschiedene konfliktgeladene Sichtweisen gibt und weil es keine Gemeinsamkeiten bei den verschiedenen Religionen gibt. Ich bin also zu dem Schluss gelangt, dass sie alle falsch liegen, anstatt dass eine aus 10.000 verschiedenen Glaubenssystemen richtiger ist. Ich frage mich einfach, warum Leute damit fortfahren die Bevölkerung zu missbrauchen und sie dazu zu bringen, sich ihren verschiedenen Glaubenssystemen oder Strukturen anzuschließen.

Ich finde du musst nicht an Religion glauben, um ein guter Mensch zu sein, du musst nicht ein Gläubiger an eine Religion sein, um die Allgemeinheit (oder den Staat) zu unterstützen und die Dinge zu tun, die man tun muss, um das hier einen guten Platz zum Leben zu machen oder um einfach ein guter Mensch zu sein. Wie auch immer, manche Menschen scheinen zu glauben, man müsse die Religion haben, aber wenn du dir die Geschichte der Religion ansiehst, wenn du dir die Geschichte der Religion in Deutschland ansiehst, dann geht es hauptsächlich um Leiden und Missbrauch und Folter und Leiden, … es war schrecklich. Ich weiß nicht warum wir damit weiter machen sollten, so eine Schlange wie die Religion in unserem Leben zu akzeptieren. Tut mir leid.

ewigkite.de: „So eine Schlange ...“

Peter Lynn: Das Böse, weißt du? Aus dem Garten Eden, … die Schlange war das Symbol des Bösen.

ewigkite.de: Okay, und was glaubst du kommt nach deinem Leben? Nach dem berühmten Peter Lynn?


Peter Lynn:
Oh, ich bin keine berühmte Person. Wenn ich sterbe bin ich tot.

ewigkite.de: Und das ist alles?

Peter Lynn: Ja. Was ich zurück lasse sind nur die Eindrücke, die ich bei Menschen hinterlasse während ich hier bin. Darüber bin ich sehr glücklich.

peter lynnimg_0058ewigkite.de: Ich predige manchmal, dass es ein Fundament im Leben gibt, wenn du an Gott glaubst, und das wird weiter gehen – nach dem Leben. Gibt es irgendeine andere Hoffnung als hier ein gutes Leben zu haben?

Peter Lynn: Oh natürlich. Wir haben eine heilige Mission. Als menschliche Rasse könnten wir die einzige selbstorganisierende Lebensform sein, die das Universum jemals hervor gebracht hat und ich denke, bis wir wissen, dass das nicht so ist, ist es unser Job – ich meine es ist keine erschreckende/angsteinflößende Sache, sondern eine Gelegenheit – also vielleicht ist dieses Universum, in das wir hinein geboren sind, aus welchem Grund auch immer und ich sage nicht, dass es hinter all dem einen bestimmten Zweck gibt, ich denke das ist möglicherweise einfach nur eine zufällige Sache, wir könnten also die einzige selbstorganisierende Lebensform sein, die entstanden ist, also sollten wir diesen Planeten verlassen und anfangen das Universum zu kolonialisieren, bevor wir die Fähigkeit dazu verlieren.

Wir haben nur noch ungefähr 400 Millionen Jahre bevor dieser Planet stirbt, bevor die Photosphäre der Sonne sich ausdehnt und wir geschrumpft werden.

Also würde ich sagen das ist die letzte Chance, wir sind die letzte Chance, die die Erde hat, um ein Replizieren des Lebens zu organisieren, …. selbst zu organisieren. Also ich denke, es mag bizarr klingen, aber ich denke es ist fast eine heilige Pflicht sicher zu gehen, dass wir das Universum erforschen.  Und ich denke nicht, dass wir das alleine machen können. Es wird so etwas wie elektronisches Leben sein, nicht organisches Leben, das wir ins All schicken, weil organisches Leben nicht so gut im All überlebt.

Wir müssen lernen elektronische Sachen und Computer so gut zu machen, dass sie uns die Informationen aus dem Universum bringen .... und wir sind nah dran. Vielleicht noch ein paar hundert Jahre mehr und wir sind in der Lage dazu. Aber wir sollten uns nicht vorher auslöschen. Das fühle ich ganz stark!

ewigkite.de: Nun, gibt es noch etwas, das du zu den „Kitern“ aus Deutschland sagen möchtest, die dieses Interview lesen?

Peter Lynn: Kites sind zur Freude da. Ich denke ich liebe Kites, weil Leute jeden Alters, jeder Einkommensstufe, reiche Leute oder arme Leute oder junge Leute oder Alte, sie all können Freude an Kites haben. Ich hatte schon mit anderen Freizeitaktivitäten zu tun. Segeln. Segeln ist ein Sport für reiche Männer und die jungen Damen, die Ihnen folgen. Weißt du, Kite fliegen ist für jeden. Ich war beim Autorennen, Motorradrennen und es ist wieder dasselbe, es ist nur für bestimmte Leute. Kites sind phantastisch weil sie für jeden sind.

ewigkite.de: Es ist etwas Besonders, dich zu treffen und mit dir zu sprechen. Du hast dein Leben lang gekitet und du betonst immer noch, dass Du sehr glücklich bist. Wenn dir das Wort “Kite“ über die Lippen kommt, dann strahlen deine Augen!

Peter Lynn: Das stimmt! Wenn ich morgens aufwache und es ist ein Drachenflug-Tag, dann sage ich: “Jaah!“ Und so habe ich es mein Leben lang gemacht. Wenn ich das also noch mindestens 60 Jahre habe und das jeden Morgen tun möchte, dann ist es gut genug für mich!

ewigkite.de: Vielen Dank für das Gespräch!

Peter Lynn: Ich danke dir!

 




















(Das Interview führte Carsten Hokema -ewigkite.de-, Übersetzung Nikola Schalk-ewigkite.de-, veröffentlicht Juni 2012)