Hoffen mit weitem Horizont

Evangelischer Gottesdienst im Deutschlandfunk
am 28. Dezember 2008 aus der Kreuzkirche der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Oldenburg
von Pastor Joachim Gnep  (Quelle: www.tv-ev.de)

 

Die Festtage, die Familienfeiern, die Zeit zwischen den Jahren - wie oft habe ich das alles nun schon erlebt? Und jedes Mal wird es spannender!

Liebe Gemeinde,
kaum vorstellbar, aber so denkt ausgerechnet ein alter Mann!
Schon so viele Jahre hat er nun durchlebt. Gute und schwere. Aber er ist nicht müde geworden. Im Gegenteil:
Das Beste kommt ja erst noch!
- sagt er. Die Freunde und Verwandten schmunzeln über ihn. Manche sind aber auch schon etwas genervt:
Vergiss es, Du hast nun schon so lange vergeblich gehofft! Auf deine alten Tage immer noch Flausen im Kopf. Schön wäre es ja, aber siehst du denn auch nur ein einziges Anzeichen, irgendeinen Hoffnungsschimmer? Alter Träumer! Nun finde dich doch endlich damit ab: Es ist, wie es ist.

Nein, genau das will er nicht: sich abfinden. Schlimm genug, dass selbst junge Leute das tun!

Simeon, so heißt der alte Mann, ist sich ganz sicher:
Ich werde es noch erleben! Ich werde nicht sterben, bevor ich ihn gesehen habe: den, der uns alle rettet! Ich weiß es.
Eines Tages geschieht es. Simeon hat es wieder einmal in den Tempel gezogen. Er spürt, dass diesmal irgendetwas anders ist.
Ein Elternpaar mit einem Säugling ist gekommen. Die üblichen religiösen Rituale stehen an.

Nichts Besonderes eigentlich. Simeon beobachtet die drei trotzdem genau.

Reich sind die Eltern nicht - das sieht er sofort. Es reicht bei ihrer Opfergabe nur für die Armenvariante: statt eines Schafes zwei Turteltauben.

Woher? Ach, aus Nazareth, so so ... Jaja, ein weiter Weg nach Jerusalem. Simeon ist irgendwie enttäuscht. Nazareth - dieses Kaff passt so gar nicht zu seiner inneren Ahnung.

Der erstgeborene Sohn, der da in eine Decke eingehüllt ist, soll nun Gott geweiht werden. So ist es Brauch.
Darf ich mal sehen?
Ja, natürlich darf er! Stolz enthüllt die Mutter das Gesicht des Säuglings. Zunächst bemerkt sie gar nicht, dass der alte Mann plötzlich wie erstarrt ist. Die hochgezogenen Augenbrauen lassen seine Augen noch größer wirken.

Er streckt seine Arme aus, und Maria versteht. Sie reicht sie ihm ihren Sohn Jesus.
Simeons Gesichtszüge entspannen sich. Seine strahlenden Augen saugen förmlich auf, was er da sieht.

Was nun geschieht, schildert Lukas in seinem Evangelium so - Kapitel 2, die Verse 28-32:

Textlesung Lukas 2,28-32
Simeon nahm das Kind auf die Arme, pries Gott und sagte: »Herr, nun kann ich in Frieden sterben, denn du hast dein Versprechen eingelöst! Mit eigenen Augen habe ich es gesehen: Du hast dein rettendes Werk begonnen, und alle Welt wird es erfahren. Allen Völkern sendest du das Licht, und dein Volk Israel bringst du zu Ehren.«


Liebe Gemeinde,

was hat Simeon eigentlich gesehen, dass er so voller Begeisterung ins Schwärmen kommt und Gott lobt?
Was er da in den Armen hält und was da vielleicht gerade an seinen Barthaaren zupft, das ist ein ganz normaler Säugling. Weiter nichts!
Aber Simeon sieht mehr. Viel mehr: den Messias sieht er, den Retter der Welt, das Licht für die Völker! Es ist der Geist Gottes, der ihn so sehen lässt, betont der Evangelist Lukas.

Simeon sieht in einem unscheinbaren Säugling alle seine Erwartungen und Hoffnungen erfüllt. Für ihn schließt sich in dieser Begegnung mit Jesus der Kreis seines Lebens: Gott hat Wort gehalten! Die vielen Jahre des Wartens auf den Messias, die vielen Enttäuschungen, auch die Momente des Zweifels: sie bekommen in dieser Begegnung ihren tiefen Sinn.

Jetzt kann ich in Frieden sterben! sagt Simeon. Und das, obwohl sich rein äußerlich noch nichts, aber rein gar nichts geändert hat. Das Land Israel ist noch immer von feindlichen Truppen besetzt. Auch in den nächsten 10, 20, 30 Jahren wird niemand Notiz nehmen von diesem Kind, diesem Jesus aus Nazareth.

Was Simeon alles in dem Säugling sieht, wird er selbst nicht mehr erleben. Auch nicht, was die dunklen Ahnungen bedeuten, die sich in seine Freude mischen: Er sagt der Mutter einen Schmerz um ihren Sohn voraus, der ihr mitten durch das Herz gehen wird.

Nein, was Simeon vorzuweisen hat, ist wirklich nichts Weltbewegendes - so muss es scheinen. Er hat nur das Kind, und Gottes Wort. Dass Jesus wirklich der ist, durch den Licht in das Dunkel der Welt kommt, darauf kann er nur vertrauen - gegen jeden Augenschein.
Damit fühle ich mich dem alten Simeon sehr nahe. Sie auch?
Gerade erst haben wir ja mit vielen anderen das Jesuskind als Retter der Welt besungen. Vielleicht auch mit so einer Ahnung tief drinnen: Ja, er ist es wirklich! Und trotzdem bleibt die Frage:  Was ist eigentlich davon zu sehen? Auch heute.

Jahr um Jahr vergeht - auch dieses Jahr ist fast vorbei. Wird es im kommenden Jahr nicht wie immer sein?

Vielleicht fragen Sie sich auch: Soll ich wirklich weiter hoffen? Weiter auf so einen Augen-Blick, auf so einen Licht-Blick warten, wie Simeon ihn erlebt hat? Was denn sonst! würde Simeon vielleicht zu uns sagen.

Wenn du tief in dir diese Ahnung hast, dass Gott eingreifen wird, dann nimm das ernst! Ich habe darauf vertraut, dass Gott Wort hält. Gut: mal mehr, mal weniger. Aber ich bin dran geblieben. Von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr. Als ich jung war und erst recht, als ich älter wurde: es hat mich nicht losgelassen. Also, wenn ich dir was sagen darf, dann: Bleib dran! Die Luft liegt voller Verheißungen!

Der alte Simeon, er tut mir gut. Er bestärkt mich darin, gelassen und erwartungsvoll nach vorne zu blicken. Auch ins neue Jahr.
Sicher, der Evangelist Lukas erzählt die Geschichte von Simeon vor allem mit einem theologischen Interesse: Er will zeigen, dass die heilvolle Geschichte Gottes mit den Menschen schon lange vor Jesus begann. Der rettende Messias, den Simeon so lange erwartet hat und nun mit eigenen Augen sieht, ist Jude. Propheten hatten seine Geburt angekündigt. Er ist eingebunden in die jüdische Tradition. Dass Simeon ihm ausgerechnet im Tempel von Jerusalem begegnet und ihn erkennt, ist nicht zufällig so. Dort, im Zentrum des jüdischen Glaubens, wird der neue Weg Gottes mit seinem Volk und der Welt bezeugt.

Aber ich glaube, Lukas will seinen Lesern mehr vor Augen malen als diese für ihn wichtigen Zusammenhänge.

Ich verstehe ihn so, dass er uns darüber hinaus auch sagen möchte: Ja, die Geschichte von Simeon ist einzigartig. Aber gleichzeitig spiegelt diese Geschichte ein Geschehen wider, dass sich bis heute fortsetzen kann.
Schon morgen kann bei uns ähnliches geschehen - auch im "Kleinklein" unseres Alltags! Etwas, was unser ganzes bisheriges Leben und Hoffen in ein anderes Licht stellt. So, dass wir spüren: Es war nicht vergeblich!
Vielleicht ist es ein unscheinbares Bibelwort, das uns ganz überraschend berührt und ermutigt.

Vielleicht ist es ein sehr intensives Erlebnis in der Natur, die uns Gott ganz nahe sein lässt und mit neuem Mut durchströmt.
Vielleicht ist es eine Begegnung mit einem Menschen, die uns Zuversicht gibt und aufblicken lässt. So, dass wir wieder hoffen können und eine Perspektive haben.

Das ist auch in leidvollen Situationen und persönlichen Krisen möglich. Wenn das, was vor Augen ist, nicht viel erwarten und hoffen lässt: eine Krankheit, eine Beziehungskrise, der Verlust des Arbeitsplatzes.
Jesus kann für jeden Menschen zu dem Licht werden, von dem der alte Simeon spricht. Unscheinbar - ja! Verwechselbar - ja! Aber so, dass Menschen spüren: Gott ist da! Ich kann aufatmen und neue Hoffnung gewinnen.

Simeon sieht als einer der ersten etwas, was erst Jahrzehnte später zur Realität wird.
Menschen werden dem erwachsenen Jesus begegnen und die Freudennachricht von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes hören. Jesus wird ihnen begegnen als einer, der befreit und heil macht. Als Retter der Welt, der sein Leben mit uns Menschen teilt und es für uns hingibt.
Manchmal schließt sich der Kreis unserer gottgeschenkten Hoffnungen erst, wenn wir schon nicht mehr da sind. Ich denke z.B. an Martin Luther King und seinen Traum. In seiner weltbekannten und berührenden Rede sagte er damals unter anderem: Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilen wird.

Und nun soll im Januar ein Schwarzer ins Weiße Haus ziehen. Rund vierzig Jahre liegen dazwischen - was für ein Spannungsbogen!
Es gibt bis heute solche Momente, da kommt alles zusammen, und wir spüren:

Ich habe nicht umsonst gehofft! Wie gut, dass ich die Sehnsucht in mir ernst genommen habe. Wie gut, dass ich nicht aufgehört habe, von Gott etwas zu erwarten! Und nun darf ich erleben, wie der Kreis sich schließt.
Was erwartet uns im Neuen Jahr? Die Kanzlerin sagt: Es wird eines mit vielen schlechten Nachrichten werden. Für diese Aussage braucht man sicher keine prophetische Begabung wie Simeon.

Was uns erwartet, hängt aber auch davon ab, was wir von Gott erwarten! Die Geschichte von Simeon, sie macht Mut zum Hoffen mit weiter Perspektive. Denn bei Gott ist nichts unmöglich! -so lautet übrigens die Jahreslosung für 2009.

Ich lade Sie ein, darauf zu vertrauen! Sich nicht entmutigen zu lassen - weder durch den eigenen Alltag noch durch schlechte Nachrichten.
Sie und ich, wir können festhalten an dem Vertrauen, das Gott in uns hineingelegt hat. Uns öffnen für die besonderen Augenblicke und Lichtblicke, die Gott schenkt. Vielleicht ganz unscheinbar wie bei Simeon, aber doch prall gefüllt mit Sinn und Freude.

Der alte Simeon konnte durch eine Begegnung mit dem noch kleinen Jesus in Frieden gehen. Für ihn hieß das: sterben. In Frieden gehen, das kann man auch, wenn das Sterben noch gar nicht dran ist. In Frieden gehen, Schritte wagen, mutig und gleichzeitig gelassen voran gehen - das können Alte und Junge und alle dazwischen.

Denn nichts muss bleiben, wie es ist. Jesus, das Licht der Völker ist da. Er ist für uns und mit uns. Das hat er versprochen. Amen.

 

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