Kirchentag Dresden 2011

Vom Sägen und Segen

Eine freikirchliche Perspektive auf den Kirchentag

100 000 Kerzen brennen am Elbufer, weitere 20 000 auf der Elbe – der Kirchentag in Dresden mit seinen 120000 Besuchern beginnt mit einem Lichtermeer. Unter den beeindruckten Besuchern sind nicht wenige Baptisten.

Die gemeinsame Psalmlesung, das gemeinsame Segenslied und das Abendgebet an der erleuchteten Elbe werden wohl nicht nur mir lange in Erinnerung bleiben. Sie zeigten mir, dass geistliche Inhalte und die für Kirchentage typischen gesellschaftliche Fragestellungen bei Christen gut unter einen, wie immer auch frömmigkeitsmäßig gefärbten, Hut passen.

Der Kirchentag hatte für mich mit einem Open-Air-Gottesdienst direkt vor der Frauenkirche angefangen! Gepredigt hat dort Pastorin Andrea Schneider (Oldenburg). Sie erklärt, was an diesem Gottesdienst besonders war: „Dass ich als Baptistin gebeten worden war, einen der drei Eröffnungsgottesdienste mit zu gestalten, fand ich schon eine Ehre. Ein besonderer Gottesdienst sollte es werden: kreativ und anschaulich, in sog. „Leichter Sprache“, d.h. verständlich für Menschen mit geistigen Einschränkungen und Behinderungen. Aber auch gern mitzufeiern von Vielen darüber hinaus. Diese Herausforderung fand ich spannend. Und nach intensiver Vorbereitung – ‚einfach’ ist oft schwerer als ‚kompliziert’! - hat es mir richtig Spaß gemacht, ganz einfach etwas dazu zu sagen, was das heißen kann: Sammelt euch keine Schätze auf der Erde, sondern im Himmel!“

Selbstverständlich gab es nicht nur vor der Frauenkirche viele Veranstaltungen. Peter Jörgensen arbeitete am Programm in der Frauenkirche mit: „Kirchentag im Osten unseres Landes. Wie zu Zeiten der friedlichen Revolution ist ’die Kirche’ der Ort, neben den originär geistlichen Zusammenkünften, um gesamtgesellschaftlichen Themen Raum zu geben. Hier finden ’die Bürger’ Gelegenheit, ihre Unzufriedenheit und ihre Sehnsüchte zu besprechen. Und mir scheint, dass ein weiterer Umbruch, womöglich noch umfassender als 1989, in der Luft liegt. Und dabei sind "Global Prayer" ausdrücklich zur Mitgestaltung eingeladen.“

An vielen Ecken, Hecken und Plätzen habe ich Leute gesehen, die mitreden und sich auch immer wieder Zeit fürs Beten nehmen: Kleine Gruppen, überschaubare Menschenansammlungen und Menschenmassen, die mit Liedern, Gebeten und Bibelworten ihre Diskussionen begannen, unterbrachen oder beendeten. Wann erlebt man es z.B., dass nach einem erstklassigen Konzert der „Wise guys“ 30 000 Konzertbesucher noch aufmerksam den andächtigen Worten eines Pastors zuhören, um zum Abschluss dann noch ein gemeinsames Segenslied zu singen?

Einen Kirchentag sollte man nur gut vorbereitet besuchen. Aus der Vielfalt der insgesamt 2000 Veranstaltungen kann man natürlich nur einen kleinen Ausschnitt auswählen. Im Programmheft standen in diesem Jahr auch Jubiläen. Kim Strübind, der auf dem Kirchentag eine Bibelarbeit hielt und an einem Podium zum BALUBAG-Konvergenzdokument in der „Halle der Theologie“ beteiligt war, nahm an einer besonderen Jubiläumsfeier teil. „Für mich persönlich war u.a. die Feier des 50-jährigen Bestehens der ’Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden’ wichtig, die vor 50 Jahren auf dem Kirchentag in Berlin gegründet wurde und eines der bedeutendsten Bindeglieder des christlich-jüdischen Dialogs in Deutschlands geworden ist. Die Feier stand unter der Überschrift ‚Eine Herzensangelegenheit’. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, hob die heute problemlosen Beziehungen zwischen Juden und evangelischen Christen hervor. Er zeigte sich sehr erfreut, dass die ersten, die heute ihre Stimme gegen antisemitische Ausschreitungen in Deutschland erheben würden, evangelische Christen seien.“
Auch meine Frau Christine und ich hatten uns ein paar Veranstaltungen im Programmheft markiert, aber es kam dann doch anders als geplant. Sie meint: „Kirchentag mit der Familie – das war ein ganz anderes Erleben für mich als die Kirchentage, die ich als jugendliche ‚Weltverbesserin’ erlebt habe. Interessante Vorträge anzuhören war nur begrenzt möglich, dafür aber ein ausgiebiger Spaziergang durch ein ’biblisches Dorf’, in dem man Zeit und Umwelt Jesu mit allen Sinnen und sehr handlungsorientiert erleben konnte. Der Markt der Möglichkeiten bot Interessantes für alle Altersgruppen und ermöglichte den ’Blick über den Tellerrand’.“

Auch der Stand des Bundes war im Programmheft aufgeführt. Wer sich in den Ausstellungszelten in der Flutrinne vor dem Messegelände zum Stand „F2 A09“ durchgefunden hatte, der war an einem winzig kleinen 10-Quadratmeter-Stand in der alleräußersten Ecke des Marktes der Möglichkeiten angelangt. Größe und Lage des Standes schlugen bei der ersten Begutachtung durch die acht Mitarbeiter, die vier Tage lang den Stand betreuten, etwas auf die Stimmung. Kaum jedoch waren die Zelte geöffnet, sollte sich das ändern. Der Stand des Bundes war rund um die Uhr belagert. Ein farbenfroh gestalteter „Mitmachstand“ inmitten manchmal etwas textlastiger Informationsstände. Friedrich Kleibert hat unermüdlich dafür gesorgt, dass hunderte von Besuchern mit Hilfe von Holzarbeiten (sägen, schleifen und kleben) ein besonderes Andenken mit nach Hause nehmen konnten. Beim gemeinsamen Holzarbeiten haben sich viele gute Gespräche ergeben. Mithilfe der plakativ gestellten Fragen „Wofür brennt dein Herz?“ wurden Besucher des Standes gebeten, die Standgestaltung mit Klebezetteln zu bereichern. Mehrere hundert Zettel hingen am Ende des Kirchentages am Stand. Mirjam Geissler meint dazu: „Unsere Frage haben viele Besucher beeindruckend offen beantwortet. Darüber mit Menschen ins Gespräch zu kommen, über Leben, Glauben und Leidenschaft und den eigenen Schatz, das hat mich begeistert.“ Und dann waren da natürlich noch die mit einem Herz versehenen 1000 handgemachten Pralinen von Olaf Petzel, die den Besuchern den Aufenthalt am Stand des Bundes versüßten.

Viele Gespräche ergaben sich. Manchmal waren sie sehr persönlich, manchmal einfach nur freundlich und informativ. Sehr selten kam es zu theologischen Diskussionen oder Streitereien. Das scheint den Kirchentagsbesuchern eigen zu sein: Sie suchen das Verbindende und nicht das Trennende. Viele wohlwollende Äußerungen von Landeskirchlern und Katholiken über Baptistengemeinden oder einzelne Baptisten haben wir am Stand gehört. Das hat einen dann sehr gefreut. Ausnahmen gab es natürlich auch dabei. Das hat dann betroffen gemacht. Wenn es gut ging, dann kam man noch am Stand des Bundes auf dem Kirchentag in Dresden wieder auf das Verbindende zu sprechen.
Auf dem Kirchentag 2013 in Hamburg werden auch wieder mehr Baptisten die Möglichkeit haben, das Verbindende zu anderen Christen zu suchen und zu finden. Denn dann liegt der Termin glücklicherweise nicht parallel zur Bundeskonferenz.