Pastor persönlich - November II 2018
Am vergangenen Wochenende wurde mir mal wieder der Kopf zurechtgerückt.
Das ging mir zu Herzen.
Die Geschichte begann allerdings schon vor mehr als vier Wochen. Mein Lieblingsmensch hatte irgendwo einen Einladungsflyer zu einem Konzert von Manfred Siebald aufgegabelt und rief die Treppe zu meinem Büro hoch: ‚Wollen wir da nicht mal hin?’. ‚Was ist denn mit dir los? Geht gar nicht!’ rief ich von meinem hohen Ross, fest im Sattel meines Schreibtischstuhls sitzend, nach unten. Liedermacher, die im vergangenen Jahrtausend in kirchlichen Kreisen bekannt und beliebt waren, haben mir doch nichts mehr zu geben! Und zu sagen schon gar nicht. In meinem Hirn – ich weiß jetzt nicht, ob die rechte oder linke Gehirnhälfte dafür zuständig ist – hatte sich, bei aller gedanklichen Ausgewogenheit, um die ich mich, soweit ich das selbst beurteilen kann, bemühe, ein Bild von christlichen Liedermachern verfestigt, das nicht gerade dazu motiviert, ein christliches Liedermacher-Konzert zu besuchen.
Bezüglich christlicher Musikveranstaltungen habe ich eigentlich nur noch mit ausgesprochenen ‚Lobpreisabenden’, aufgrund der von mir dort vermuteten theologischen Einseitigkeit, mehr Probleme. Mit Liedermacherliedern, die von Christen geschrieben sind, verbinde ich irgendwie Schwarz-Weiß-Denken. Und das brauche ich nicht mehr, weil ich die Grautöne des Lebens mittlerweile nicht nur bei anderen Leuten, sondern auch bei mir selbst ganz gut kenne.
Und außerdem ist das Leben bunt. Ich möchte keine Lieder mehr hören, in denen in der ersten Strophe alles okay ist, in der zweiten Strophe vieles problematisiert wird, um dann in der dritten oder vierten Strophe mit der christlichen Botschaft, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes, ‚reingewaschen’ zu werden. „Also, sehen wir uns beim Konzert?“ „Nein, weder siehst du mich bald, noch werde ich Siebald sehen!“ Abgehakt!
Vor zwei Wochen ruft mich dann der Gemeindeleiter einer Gemeinde an, die mich bereits vor einem Jahr eingeladen hat. Gegen Ende des Gesprächs meint der nette Mensch: „Ach, Carsten, was ich ganz vergessen habe. Den Gottesdienst gestaltet Manfred Siebald mit. Der ist am Abend vorher zu einem Konzert bei uns!“ Da rutsche ich fast vom arroganten Sattel meines Schreibtischstuhls und verpacke meine Arroganz in die Form eines ironisch formulierten Satzes, den ich durch den Telefonhörer schiebe: „Na, wenn das mal nicht der Höhepunkt meiner pastoralen Tätigkeit wird!“
Das Wochenende – in Köln war es übrigens – kam. Es war eines der sehr seltenen Wochenenden, an denen ich meine Frau mitgenommen habe und bei denen sie mich arbeitend erlebt hat (nein, nein, nein, … sie erlebt mich auch zuhause arbeitend, aber eben nicht, wenn ich unterwegs bin). Wir haben uns einen schönen Nachmittag in Köln – unter anderem vor dem Richter-Fenster im Dom – gemacht und dann zwei Saunagänge im Hotel, das einen Steinwurf von der Gemeinde entfernt lag, gegönnt. Und ja, wir gehen in das Konzert. Mal sehen. Hoffentlich werde ich beim Konzert nicht auch innerlich ins Schwitzen geraten!
Wir setzen uns in die erste Reihe. Dann kriegt man wenigstens Nuancen mit. Nach den ersten Tönen, Takten und Talkeinlagen von Manfred Siebald habe ich das dringende Bedürfnis, öffentlich Buße zu tun. Nicht, weil Manfred Siebald dazu auffordert, sondern weil ich ganz von selbst merke, dass ich umdenken muss (‚umdenken’ ist sozusagen ein deutsches Wort für das biblische metanoia/ Buße. Umdenken, anders denken, Verstand anders einsetzen).
Da singt und spricht ein Mann, der überhaupt nichts mit Schwarz-Weiß-Denken zu tun hat. Er trifft nicht nur musikalisch die richtigen Töne, sondern kennt selber die Zwischentöne des Lebens, blendet sie nicht aus, redet und singt von ihnen und wirft immer wieder ein fröhlich, strahlendes, Mut machendes und zuversichtliches Licht, gespeist durch die enorme Energie des Evangeliums, auf Lebenssituationen, in denen man vielleicht geneigt ist, schwarz zu sehen, weil man den Kopf in den dunklen Sand stecken möchte. Der Mann hat singend was zu sagen und wenn er spricht, bringt er Lebensmelodien zum Klingen, die einfach ermutigend und hilfreich sind. Wie konnte ich nur so verbohrt sein?
Ich habe Manfred Siebald nie zuvor in einem Konzert erlebt. Irgendwann habe ich ihn mal beim Kirchentag auf einer Bühne erlebt. Mehr nicht. Und schon hatte ich ihn festgelegt.
Nach ein paar Konzert-Minuten passierte das, was Manfred Siebald wohl aus seinen Konzerten, bei denen hauptsächlich ‚best-agers’ mit mehr oder weniger Silberstreifen im mehr oder weniger vorhandenen Haupthaar zu sehen sind, des Öfteren erlebt: Die Konzertbesucher singen mit. Und ich auch! Da ist ein Siebald-Lied tief in meiner Seele, Abt. Jugendzeit, komplett mit Melodie und Text abgespeichert (ich meine mal gelesen zu haben, dass es sich hierbei um die linke Gehirnhälfte handelt).
Der Abend mit Manfred Siebald wurde für mich zu einem Erlebnis. Dieses Erlebnis hat auch meinen Glauben gestärkt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Was es noch über das Konzert zu sagen gibt? Unglaublich, wie dynamisch, agil, konzentriert und energiegeladen der 70ig-Jährige da vor mir saß. Dafür kann er sehr sehr dankbar sein. Normal ist das nicht. Und wenn man bedenkt, was er noch alles macht – und was er als Prof. auch alles geleistet hat – und wie normal er damit umgeht, dann ist das ein Mensch, der für mich vorbildlich ist. Wie toll auch, dass er sich so engagiert für Menschen/ Kinder in Not einsetzt!
Nach dem Konzert war vor dem Gottesdienst. Wir haben uns ein wenig in einem Kölner Brauhaus kennengelernt. Geklönt, gelacht, gesprochen. Die Kölner, die dabei waren, waren wirklich ein lustiges Völkchen! Von meiner Seite aus ist eindeutig ‚der Funke gesprungen’. Dann noch am nächsten Morgen ein fröhliches und leckeres gemeinsames Frühstück im Hotel und der Gottesdienst, den ich ganz bestimmt nicht mehr ironisch als ein ‚highlight’ meiner pastoralen Tätigkeit beschreiben würde. Das war schon ein besonderer Gottesdienst. Wir haben uns ergänzt, die Bälle zugespielt, einander angelächelt und uns wohl beide darüber gefreut, dass wir Gottesdienst feiern.
Auch wenn meine Frau bei der Auswertung auf der Rückfahrt meine Predigt nur mit
„3 /befriedigend“ bewertet hat, so bekommt das gesamte „Siebald-Wochenende“ von mir eine glatte „1/sehr gut“!
Wer sich fragt, ob ich demnächst nun endlich auch einmal zu einem ‚Lobpreisabend’ gehen werde, der oder die möge dafür sorgen, dass mich eine Gemeindeleiterin anruft und mir sagt, dass eine weltweit bekannte Lobpreisband, deren Namen ich bisher ganz bestimmt noch nicht kenne, an dem Gottesdienst beteiligt ist, in dem ich predige :) .