Pastor persönlich - August 2019 II
‚Jede Wohnung zaubert einen Anfang. Irre.’
… oder irgendwie so ähnlich.
Ich sitze in unserer neuen Wohnung. Hamburg. Mittendrin. Altona.
Es ist still im neuen Arbeitszimmer. Halb sechs am Morgen.
Die bestens isolierten Fenster dämpfen den erwachenden Lärm der Großstadt.
An das Rauschen der S-Bahn, die quasi neben unseren Kopfkissen vorbeifährt, haben wir uns schon gewöhnt.
Ja, wir. Das neue ‚Wir’ ist wohl die größte Veränderung, die hinter und auch noch als Herausforderung vor uns liegt.
Das neue ‚Wir’ ist im Vergleich zum alten ‚Wir’ ziemlich zusammengeschrumpft.
Die Mädels sind ja schon länger aus dem Haus. Aber mit unserem Aus- und Umzug sind auch meine Mutter, Salman und Enno aus- und umgezogen.
Das neue ‚Wir’ ist kleiner. Weniger. Näher. Öfter. Anders.
Gewöhnungsbedürftig. Die Kinder sind aus dem Haus, das alte Familiengefüge aufgelöst, Neues beginnt. Auch für die Partnerschaft. Glücklicherweise haben wir in den letzten 30 Jahren so miteinander gelebt, dass wir – soweit ich das momentan überblicken kann – jetzt nicht irgendwelche größeren Probleme miteinander bekommen. Aber es ist echt anders.
Es beginnt die alleinstehende Eltern-Lebensphase.
Und es ist auch echt ganz schön cool… . Das hat auch mit unserer Wohnung zu tun.
Bis Oktober haben wir eine Übergangswohnung. Und die zaubert echt einen irre Anfang in Hamburg! Wir leben auf 36qm, hausen wie zu Studentenzeiten, teilen uns Tisch, Bett und Schreibtisch (das Teilen des Schreibtisches ist allerdings die größte Herausforderung). Es ist … herrlich! Wir wollten das so und jetzt finden wir das auch tatsächlich klasse.
In den vergangenen ersten 10 Tagen in Hamburg haben wir dankenswerterweise viele kleine und große Momente voller Lebensglück erlebt:
Wenn Freunde einfach da sind, anpacken, Gutes reden und Freude verbreiten (und sie wohnen jetzt so alto-nah! Yeah!),
wenn alles Organisatorische nicht nur deswegen gut läuft, weil in Hamburg alles digital bestens eingetütet wird, sondern weil die Leute in den Behörden Hamburger sind ;), dann ist das für mich Lebensglück.
Es ist für mich Lebensglück, wenn der erste Gottesdienst, den ich als Gemeindemitglied - und nicht als Pastor dieser Gemeinde –miterlebe, so ein rundum herrlicher Familiengottesdienst ist, dass er mir Lust auf die Zusammenarbeit mit den anderen (Teil-)Hauptamtlichen macht.
Oder wenn ein über 90igJähriger mich nach dem Gottesdienst strahlend anschaut und sich darüber freut, dass er nun weiß und beruhigt darüber ist, wer ihn beerdigen wird. Oder wenn das neue Auto meiner Frau endlich angemeldet ist und ich das Teil selber so klasse finde, dass ich schon ein wenig neidisch auf sie bin.
Oder der wunderbare Tag in Berlin mit einer tollen Teamklausur und einem ebensolchen Besuch bei der ältesten Tochter und ihrem Freund zum Geburtstagfeiern (ja, das ‚Wir’ ist kleiner geworden, aber alle Kinder leben und gestalten ein neues ‚Wir’ und sind dabei allem Anschein nach glücklich und erfüllt).
Und dann war da noch der erste Abend allein in Hamburg, weil Stine auf Tour war. Den habe ich mit lauter netten Drachenfliegern in der Nähe von Hamburg bei einer genial gelungenen Geburtstagsfeier verbracht. Meine Güte, so viel Lebensglück in so wenigen Tagen.
Ich glaube nicht, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt.
Anfänge können auch ziemlich ätzend, schwer, problematisch sein.
Unser neues ‚Wir’ hat gut angefangen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Ich kann für mich nicht sagen, dass der dem Anfang innewohnende Zauber
‚uns beschützt und (…) uns hilft, zu leben.’
Gelingendes Leben ist kein Zauberwerk.
Es ist einfach.
Dankbar nehme ich es an.
Mir fällt die Vokabel ‚Gnade’ ein.
‚Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen.’
Ja, das mache ich gerne. Räume durchschreiten.
Ob ich dabei immer heiter sein kann, das ist fraglich.
Und das mit der Heimat, bzw. Nicht-Heimat,
das haben mir lebenskluge ChristInnen seit Kindesbeinen vermittelt
und dabei nicht selten das Bibelwort aus Hebräer 13,14 zitiert:
''Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.''
Ich freue mich auf die Zeit, die in dieser tollen Stadt vor mir liegt.
Wie gut, dass ich nicht allein bin. Dass die bessere Hälfte unseres ‚Wir’ mit mir hier ist.
Schön wäre es, wenn ich, wenn wir ab und zu nicht nur Besuch von unseren Kindern bekommen würden, um uns gerne an das alte ‚Wir’ zu erinnern und es ein wenig nach-und neu und anders zu erleben, sondern wenn sich zu unserem ‚Wir’ noch der ganze Andere gesellen und unser ‚Wir’ ergänzen würde.
Aber das kann man weder selbst noch mit Zauberei bewirken.
Das wäre Gnade.