Pastor persönlich- Februar 2021
Ich drehe mich um und schlafe weiter. Gerade wurde ich durch ein Alptraum geweckt.
‚Was macht ein Pastor denn eigentlich so im Lockdown?‘. Ein riesiges Mikrofon senkte sich auf mich nieder.
Am kommenden Samstag wird das Wirklichkeit werden. Eine nette kirchliche Redakteurin wird mir diese Frage stellen. Und sie gibt damit allen kirchlichen und nichtkirchlichen Leuten, die sich manchmal sogar schon zu normalen Zeiten fragen, was denn ein Pastor/ eine Pastorin den lieben langen Tag lang so macht, eine Stimme.
Bei mir ist es so, dass ich in dieser Woche tatsächlich zum ersten Mal in diesem Jahr keine To-do-Liste habe, die ich abarbeiten müsste. Und auch das E-Mailfach ist, abgesehen von vier Mails auf deren Beantwortung ich gerade keine Lust habe, leer. Seit gestern gehe ich morgens ins Büro und frage mich: ‚So, was mache ich denn heute mal?‘
Das ist echt ein absolut irres Gefühl. Und es ist entspannend. Kein Druck, im Laufe dieser Woche nur drei Termine und auch das Telefon ist relativ ruhig. Ich kann das ziemlich genau erklären, warum es momentan so ruhig ist. In den vergangenen beiden Wochen musste ich weder Gottesdienste inhaltlich vorbereiten noch Predigten schreiben. Die Absprachen für einen (freikirchlichen) Gottesdienst können sehr zeitaufwändig sein (während ich diese Zeilen schreibe, fällt mir ein, dass ich die Mitglieder des Vorstands unserer Gemeinde noch fragen wollte, wer eine Geschichte, ein Video, ein paar Zeilen zum Thema des Gottesdienstes am 28.2. ‚Dich schickt der Himmel!‘ beitragen möchte; ich habe das mal eben gemacht. Es sind mittlerweile wieder drei E-Mails eingegangen. Zwei werde ich nachher schnell beantworten und für die dritte werde ich morgen wohl anderthalb bis zwei Stunden brauchen, weil es um die Antragsformulierung für einen Kollegen geht, der für seine ghanaische Gemeinde Zuschüsse beantragen möchte).
Beim Thema Predigtvorbereitung habe ich mich, was die zeitliche Einschätzung angeht, nach 20 Jahren überregionaler Arbeit, in der ich oft ‚Predigtbausteine‘ neu zusammengefügt habe, doch ziemlich verschätzt. Ich brauche so um die 10-15 Stunden. Da geht ein guter Tag schon mal weg. Ich muss aber sagen, dass mir Predigtvorbereitungen – bei aller Mühe, die sie manchmal auch machen – echt Freude machen. Es ist schon irre, was man so alles in einem biblischen Text entdecken kann. Mehr und mehr wird mir auch bewusst, dass meine Theologie, meine Axiome mehr Anteil an der Auslegung haben als ich dachte.
Also, was mache ich so den ganzen Tag über? Nachdem ich gegen halb elf aufgestanden bin und bis 12:30 Uhr gefrühstückt habe, lese ich bis 15 Uhr wichtige theologische Literatur und ab dann rege ich mich bis 17:00 Uhr über den Zustand der Welt auf. Na ja, … und dann ist ja schon wieder Feierabend.
Im ‚real life‘ sitze ich manchmal schon um 6:45 Uhr am Schreibtisch. Dann hat meine Frau nämlich die Wohnung verlassen. Als erstes ‚besinne‘ ich mich ein paar Minuten und dann sitze ich meistens so bis 8:00 Uhr oder 9:00 Uhr am Abarbeiten meiner E-Mails. Die ploppen im Laufe eines Tages immer wieder auf. Dann mache ich mich an inhaltliche Arbeit. Predigtvorbereitung, schriftliche Ausarbeitung von Andachten, die irgendjemand angefragt hat, ich schneide Videos (‚wäre doch schön, wenn wir noch eine kleine Vorstellung unseres Kirchengebäudes auf der Homepage hätten‘) und unterlege sie mit Ton, ich telefoniere mit Kolleg*innen, die irgendwelche Fragen haben, denke zwischendrin an ein Gemeindemitglied (‚wie es ihm und ihr wohl geht?‘) und rufe es spontan an, ich überarbeite den Gottesdienstplan bis Oktober 2021 und maile x Leute, die sich beteiligen sollen an (während ich diese Zeilen schreibe, denke ich an einen Kollegen, den ich gestern gefragt hatte, ob er nicht mal in unserer Gemeinde predigen möchte; ich habe mal eben die mail geschrieben, die Datei mit den Terminen aufgerufen, in meinem eigenen Kalender gegengecheckt …. und jetzt sind 6 Minuten rum – so geht das täglich mit Kleinigkeiten dutzendfach).
Hin und wieder entwerfe ich neue Plakate für den Schaukasten, schippe auch mal Schnee vor der Kirche (Hausmeister war krank) oder lese 15 Bewerbungsakten hintereinander durch, schaue mir 15 Bewerbungsvideos an und mache mir Notizen. Das geht nicht in wenigen Minuten … .
Dann treffe ich mich mit dem Wahlausschuss des Ökumenischen Forums mehrerer Male stundenlang per Zoom und mit den Kollegen aus dem Vorstand gleich mehrmals a drei Stunden. ‚Wir brauchen da nochmal einen einstündigen Termin zusätzlich! Wer kann wann?‘. Rundbriefe an die Gemeinde schreiben (nein, ich schreibe sie nicht handschriftlich, aber bis so ein Brief raus ist, dauert es schon. Inhalte abstimmen, Briefmarken kleben, Adressaufkleber ausdrucken, Zettel falten, …. da gehen bei 200 Briefen schon mal insgesamt fünf Stunden drauf). An den wöchentlichen Bekanntmachungen für den Gottesdienst sitze ich etwas 30 Minuten. Plötzlich klingelt es an der Tür. Wie aus heiterem Himmel. Eine Nachbarin. 45 Minuten Gespräch. Die Bestellung des Briefpapiers muss auch noch auf den Weg. Und der Radiogottesdienst muss auch nochmal überarbeitet werden (weil der am nächsten Sonntag ist, habe ich diese Woche echt Zeit. Denn er ist seit etwas 10 Tagen ‚unter Dach und Fach‘). Ist eigentlich alles mit dem Hausmeister abgesprochen?
Viele Leute rufen ab ca. 16 Uhr an. Das kann dann schon mal bis 18/19:00 Uhr durchgehen. Und Mensch, die Telefonandacht für den nächsten Tag muss noch aufgesprochen, hochgeladen und aktiviert werden. Und facebook wäre auch noch mal eben wieder dran, bevor der Gemeindeaccount einschläft (das habe ich gerade mal gemacht, neues Bild hochgeladen, weil ich gerade unten war, um das neue Plakat aufzuhängen (das waren 8 Minuten). Das facebook-Bild dauerte nur 2 Minuten).
Ich treffe mich mit meinem Gemeindeleiter, zu dem ich trotz Viren-Abstand ein aus meiner Sicht enges Verhältnis habe. Zwei Stunden sprechen wir x Themen durch. Und wir merken, dass wir noch immer mehr, es besser und sowieso anders machen könnten. Und wir nehmen uns ein paar Punkte auf die To-do-Liste. Nein, es ist wirklich nicht viel los in unserem Kirchengebäude. Aber die Menschen sind da. Und die Aufgaben auch. Anderes als vor 2020. Aber eben noch da.
Was ich seit nun fast einem Jahr schmerzlich vermisse? Die persönlichen Kontakte und Besuche. Ja, manchmal bin ich noch unterwegs zu Leuten. Aber sehr eingeschränkt. Ich möchte nicht verantwortlich dafür sein, wenn es jemanden ‚erwischen‘ sollte.
Okay, nachdem ich jetzt etwa 30 Minuten für diese Zeilen gebraucht habe, um der Öffentlichkeit zu sagen, wie stark beschäftigt ich bin, drehe ich mich in meinem Bett wieder um und schlafe weiter.