Pastor persönlich - Dezember 2016

Ich sitze früh am Morgen im Wohnzimmer. Ein Tag vor Weihnachten. Noch ist alles still. Seit gestern steht er schon, der Weihnachtsbaum. Die Kinder, die angeflogen oder angefahren gekommen sind, liegen noch. In ihren Betten. Ganz langsam kommt Weihnachtsstimmung auf.

Dieses Jahr war nichts mit Adventsstimmung. Normalerweise plane ich den Dezember so, dass ich viel zuhause bin. Das ging in diesem Jahr aber irgendwie nicht. Und wenn ich zuhause war, dann war der Schreibtisch dermaßen voll, dass ich keine Ruhe gefunden habe, um Kekse zu knabbern. Irgendwann hatte ich noch bei facebook einen Adventsartikel veröffentlicht. Den hatte ich bereits im August geschrieben. Für eine Zeitschrift. Im August war ich noch davon ausgegangen, dass Advent 2016 wie „alle Jahre wieder“ wird.

Ich hatte dann also doch keine keksige Kuschelzeit. Ich bin davon ein wenig genervt. Genervt von mir selbst. Ich hätte frühzeitiger gegenlenken müssen. Schon der November war dermaßen voll, dass ich manchmal übellaunig durch den Tag ging. Das ist bei mir ein ganz sicheres Zeichen, dass ich den Bogen überspannt habe. Wobei das ja immer so eine zweischneidiges Schwert ist: Ich erlebe echt schöne Dinge. Da war zB eine Veranstaltung in Elmshorn. Die hat mir so viel Freude gemacht! Ich habe Künstler interviewt und dann noch Kurzpredigten gehalten. Ich habe so interessante Menschen kennengelernt. Herrlich! Und dann war da die Goldene Hochzeit von den Eltern einer Freundin. Und ich durfte die Andacht halten. Und und und ... Ich hätte auf nichts verzichten wollen. Und es haben sich echt nette Kontakte ergeben. Und Vieles war einfach nur schön. Er war aber auch viel ... .

Zuhause hat auf mich immer die Reformation gewartet. Also, die Reformationsprojekte: Die Ausstellung und die Broschüre. Ich/ wir hätten nie damit gerechnet, dass die Nachfrage so groß wird. Über 20 Ausstellungen sind schon unterwegs. Das bedeutet aber auch immer organisatorische Arbeit für mich (und ich schreibe es hier mal in aller Heimlichkeit des www: Nicht alle Ansprechpartner – meistens KollegeInnen – halten sich an die Vorgaben, deadlines, etc. pp. ...). Und dann ist da noch die Broschüre zur Reformationsausstellung. Es ist doch ganz schön viel Arbeit, gut 70 Seiten in den Druck zu kriegen. Korrekturen, Absprachen, Grafik(er), Finanzen klären, Presseartikel, Bestellungen, .... . Ich will nicht klagen, aber es war dann doch mehr Arbeit als geplant. Wenn, dann müsste ich eben wieder über mich selbst klagen, weil ich mich verschätzt habe, was den Arbeitsaufwand angeht. Und ich will schon gar nicht klagen, was den „Erfolg“ angeht. Mit 3000 Bestellungen haben wir gerechnet. 10 000 sind es geworden. Yipieh! Das ist schon schöööööön. Ja, ich ziehe auch aus Erfolgen gute Vibrations. Es gab auch Schweres: Mitzuerleben, wie der Vater einer Freundin große gesundheitliche Probleme hat. Mitbeten. Und es gab auch mal wieder Kritik an Dingen, die ich tue oder sage. Damit muss ich auch umgehen. Manches ziehe ich mir an und denke über Änderungen nach und bei anderen Dingen muss ich mir auch manchmal sagen: „Ich bin nicht auf der Welt um so zu leben, wie andere Leute das von mir wollen!“

Die gesamtgesellschaftliche Situation in unserem Land macht mir Sorgen.

Nach dem Anschlag in Berlin sorge ich mich noch etwas mehr. Nicht wegen des Terrors. Sondern wegen der politischen Entwicklung. Wenn mir doch jemand sagen könnte, wie ich Leute, die ausgrenzende Gedanken haben, von Weite, Liebe und Miteinander überzeugen könnte. Ich gebe mir schon Mühe, meine Meinung zu sagen. Die Instrumentalisierung des Geschehens in Berlin für politische Zwecke macht mich sprachlos. Wenn ich dann doch Sprache oder Worte finde, dann muss ich mir zB anhören, dass ich ein Vertreter der „Asylindustrie“ sei. Ich dachte echt, ich falle hinten über. Und das hat nicht irgend jemand Wildfremdes geschrieben.

Wie schaffen wir es nur, die AfD, Alfa, die Braunen, und am besten die CSU gleich mit, unter 5% zu bekommen? 

Salman, mein ‚zweiter Sohn’ erlebt die Wochen noch mal anders. „Ich schäme mich, irgendwo zu sagen, dass ich aus Afghanistan komme.“ So weit ist es schon gekommen.  Salman hat gerade wieder ein Praktikum hinter sich. Ich bekomme dadurch auch mal wieder Einblicke in eine Arbeitswelt, die echt heftig sind. Es ist unglaublich, was manche Arbeitgeber sich leisten .... . Anfang Januar werden für Salman dann neue Weichen gestellt. Mal schauen, ob sein Traum von einer Ausbildung im Metallbereich wahr wird. Was das Arbeitsamt/Jobcenter angeht kann ich nur sagen: Ich bin angenehm überrascht von der Arbeit, Fürsorge, Offenheit, die die Leute da an den Tag legen.

Weihnachten werde ich nicht ganz entspannt erleben. Der Termin am 27. schwebt dann doch etwas über mir. Ich bekomme leicht schweißige Hände, wenn ich daran denke, dass ich im Studio sitzen werde. 45 Minuten live sind dann doch was. 28 Minuten Redezeit. Ich hoffe und bete, dass ich möglichst wenig Unsinn rede. Mehr Sinniges, Nachdenkenswertes. Es geht um ewigkite.de. Und um ein paar andere Dinge. Die Vorbereitungen von Seiten des NDR und auch meinerseits laufen auf Hochtouren. Was werden sie von dem eingereichten Material nehmen? Wie wird die Stimmung sein? Die Fragen? Und etwas unsicher bin ich noch, auf welche Moderatorin ich treffen werde. Ich bin gespannt. Und aufgeregt. Und ich freue mich auch .... . Sogar ziemlich ;).

Es geht mir noch so viel durch den Kopf und durch die Gefühle. Ich könnte noch Stunden schreiben. So langsam erwacht aber das Leben um mich herum. Die Kinder haben schon vereinzelt ins Wohnzimmer geschaut, Salman hat sich auf den weg zur Arbeit gemacht und gleich werde ich Frühstück machen. Es ist heller geworden im Wohnzimmer. Weil es draußen heller geworden ist.

Es wird heller!