Pastor persönlich: Mai 2017
Langsam ...
wird es dunkel. Und langsam wird es besser. Ich sitze auf dem Sofa in meinem Crafter. Der Crafter steht auf dem Parkplatz der Reha, in der Enno seit Mitte Februar ist. Gerade haben wir einen Nachmittag miteinander verbracht. Wir sind an der Elbe entlanggelaufen. Gelaufen! Enno’s Fortschritte sind enorm. Wer ihn jetzt sieht, denkt vielleicht an einen Jugendlichen, der einen Verkehrsunfall mit ein paar Brüchen hatte. 12 Wochen Reha liegen hinter Enno. Wie viele Wochen noch vor ihm liegen ist nicht ganz klar.
Die vergangenen Wochen waren für mich schwer. Für Enno noch viel schwerer. Ich musste auch erst einmal lernen, mit der veränderten Lebenssituation umzugehen. Die ständigen Gedanken um Enno’s Gesundheit, die regelmäßigen Fahrten nach Geesthacht, psychische und physische Anstrengungen haben mich ganz schön ausgelaugt.
Sehr erfreulich zwischendrin: Wenigstens habe ich selbst seit drei Wochen keine gesundheitlichen Probleme mehr. Mein Bauchgefühl ist wieder da. Besser: Mein Bauch fühlt sich wieder normal an.
Wir haben Hoffnung, dass Enno wieder fast komplett „normal“ wird. Aber was ist schon „normal“? Regelmäßig begegne ich in den vergangenen Wochen schwerstbehinderten Kindern und deren Eltern. Das macht auch etwas mit mir. Ich habe einen anderen Blick auf die Menschen, denen ich im „normalen“ Alltag begegne.
Ich will nicht sagen, dass mir meine Lebensfreude abhanden gekommen ist, aber sie ist doch sehr gedämpft. In den vergangenen Wochen habe ich sie eigentlich gar nicht gespürt. Es war mehr ein Aushalten. Durchhalten. Ein stilles Beten. Manchmal klagend. Verzweifelt.
Vor sechs Wochen ist mein Vater gestorben. Enno war am „Sterbewochenende“ zuhause. Mein Vater hatte drei Tage vor seinem unerwarteten, friedlichen und schmerzfreien Tod seinen 80.Geburstag bei guter Gesundheit und mit munterem Sinn gefeiert. Sein Tod kam wirklich plötzlich. Wie schön und tröstend zu erleben, dass meine Eltern vorbereitet waren. Sich vorbereitet haben. Sie lebten – und meine Mutter tut es immer noch – eine bodenständige Frömmigkeit, die die Augen nicht vor dem Tod verschließt. Wirklich beeindruckend.
Das Thema Tod, Vergänglichkeit, Leid ist noch einmal in mein kleines persönliches Leben eingedrungen. Und es ist schon interessant, was das bei mir auslöst. Wie bin ich geworden, wie ich bin? Wie viele „Vater-Anteile“ habe ich in mir? Wie wird es Enno wohl mal gehen, wenn ich sterbe? Ein Vater ist ein Vater. Das ist nicht irgendein Mensch, der stirbt. Die letzten Wochen waren auch wegen der Trauer und der vielen Gedanken intensiv.
Zudem gab es beruflich noch manche Dinge, die mich beschäftigt haben. Nicht nur „Leichtes“ (wobei: „Leichtes“ habe ich eigentlich seit Ende Januar nicht erlebt. Ich merke, dass die Gesamtsituation dazu führt, dass ich eine enorme ‚Anschubenergie’ für Dinge brauche, die ich normalerweise ‚mit links’ mache. Wenn ich dann am Arbeiten oder unterwegs zu Gemeinden bin, dann geht es so. Aber der ‚Kick’ ist selten da). Es gab auch Dinge, die quer gelaufen sind. Oder mir quer im Magen lagen. Problematisches. Problemgespräche. Zu Klärendes. Nicht immer hatte ich die nötige Energie dafür. Musste oder wollte aber dennoch ran. Selten war ich so früh abends müde wie in den vergangenen Wochen.
Sehr sehr sehr dankbar bin ich für Stine, meine ‚Lebensbegleiterin’. Sie ist wirklich der innerliche Jackpot meines Lebens. Wie gut, dass sie an meiner Seite ist. Mit ihrer Art, ihren Gedanken, ihren Gebeten. Ohne sie wäre ich nicht ich. Und ich wäre es auch nicht in den vergangenen Wochen und Monaten gewesen.
Langsam aber sicher kehrt wieder eine gewisse Normalität in unser Leben ein. Ich wusste gar nicht, wie sehr man sich nach Normalität sehnen kann.
Ich freue mich riesig über Enno. Und über seine Fortschritte.
Langsam fange ich auch wieder an, mich an der Arbeit zu freuen. Vergangenen Sonntag (und dann bis Mittwoch) habe ich einen Mega-Tag in der EFG Veenhusen erlebt. Echt mutmachend, diese Gemeinde.
Und auch der heutige Sonntag in Mühlen war fröhlich.
Einen echten Kick, Adrenalinausstoß, Freudenflash habe ich in der vergangenen Woche erlebt: Seit letzten Sommer habe ich ein Foilboard. Vier Mal hatte ich es im letzten Jahr versucht. Verzweifelte Versuche. Vergangene Woche hat es geklappt. Über dem Wasser schweben. Ich glaube, ich hab’ den Dreh raus ... . Herrlich!
Jetzt sitze ich in Wiehl wieder – ich habe das Schreiben gestern in Geesthacht unterbrochen - auf der Couch in meinem Crafter, der mir in den Sommerwochen unterwegs ein Stück zuhause vermittelt.
Und obwohl es Abend wird, wird es etwas heller.
In meiner Seele.