1. November

Reformationstag 2010. An diesem Sonntag bin ich glücklicherweise zuhause. Ein schöner Tag mit der Familie. Und jede Menge Reformation.  Morgens sitze ich in der Baptistengemeinde  in Oldenburg. Jede lutherische Kirche wäre glücklich, einen dermaßen inhaltsreichen Reformationsgottesdienst feiern zu können. Wo bin ich hier? Direkt in Wittenberg. Luthertexte  werden im Original gelesen. Luther-Lieder. Ein Bild Luthers. Nun denn, so viel Luther kann ich schon verkraften. Für eine Baptistengemeinde aber sicher etwas außergewöhnlich.

Unser armer Enno hat dermaßen konservative Eltern, dass er, wenn er denn „Hallo Wien!“-Laufen und Massen von Süßigkeiten sammeln will, einen einseitigen Aufsatz über die Reformation abliefern muss. „Das meint ihr nicht ernst, ne?“ „Doch!“ Und er schreibt. Sinnvolles. Und dann hänge ich das „Reformationsschild“ an unsere Tür. „Das meint ihr nicht ernst, ne? Das ist ja peinlich, wenn meine Freunde das sehen...“ Sie haben es gesehen. Und nichts weiter gesagt. Enno wurde allem Anschein nach auch nicht gemoppt. Er kam mit einer Tüte Süßigkeiten wieder. Andere hängen keine Reformationsschilder auf, lassen aber ihre Häuser dunkel, um Kiner davon abzuhalten, zu klingeln. Einige Leute haben sich dumm gestellt und sich Halloween erklären lassen. Darüber hatte Enno keinen Aufsatz geschrieben.

Während unser Sohn Süßigkeiten sammelt, gehen seine Eltern zu einem Orgelkonzert in die katholische Kirche. Es ist schon bizarr. Kein Wort, keine Andeutung, kein zarter Hinweis, dass für evangelische Christen heute ein besonderer Tag ist. Mehrere Wortbeiträge unterbrechen die Orgelstücke. Möglichkeiten auf feine Hinweise hätte es jede Menge gegeben. Nichts. Wie weit sind die Konfessionen eigentlich auseinander? Die haben den Schuss doch nicht gehört!

Und dann kriege ich beinahe einen Lachkrampf. Kann mich kaum beherrschen. Biege mich auch der (Kirchen-)Bank. In einem Wortbeitrag wird das Gebet Jesu umformuliert. Und dann die Zeile: „Denn dein ist die Herrlichkeit und Fraulichkeit.“  Das ist falsches Deutsch. Es müsste richtig „Herrlichkeit und Dämlichkeit“ heissen. Meine Güte, was man sich alles anhören muss.

Nun denn: Jetzt ist die Reformation mal wieder vorbei ... . Und ich sitze hier an meinem Schreibtisch und mache es vermutlich auch nicht viel besser. Ich versuche es aber wieder mal.