Pastor Persönlich - August 2018

ppersoenlich

 

Ich sitze auf dem Deich. Den Blick über das weite Deichvorland auf die Nordsee. Dann wieder Bildschirm. Wieder einmal –  egal, ob nun senile, präsenile oder normale Bettflucht eines 53-Jährigen – zu früh wach geworden. Ich habe vor einiger Zeit den Entschluss gefasst, nicht dagegen anzukämpfen … .

Zurzeit bin ich für einige Tage bei den Kitesurfmasters in Sankt Peter Ording. Der gestrige Tag war voller Begegnungen, Gespräche, Netzwerkereien. Am Strand, auf dem Sand, beim Stand (von ewigkite.de). 


Nach einem wunderbaren Urlaub mit meinem Lieblingsmenschen ist gleich wieder jede Menge los. Aus der Stille und Entspannung Schwedens bin ich ganz schnell wieder im deutschen Alltag angekommen. Und der ist schön. Voller Abwechslung und Eindrücke.

Die vergangene Woche war sehr intensiv. Nach viel Schreibtisch- und Orga-Arbeit stand am Samstag endlich das Konzert an, für das ich schon im vergangenen Jahr Karten besorgt hatte. Stine und ich waren bei Jethro Tull/ Ian Anderson. Ich bin abgetaucht. Einen Abend lang. Gemeinsam mit 2500 Leuten, die, als ich jung war, auch jung waren. Oldtimertreffen vor der Bühne, auf der ein 71-Jähriger noch so die Querflöte spielt, wie vor Jahrzehnten. Und manchmal stand er nur auf einem Bein, das andere angewinkelt.

Wie früher …, ein herrlicher Abend. Erstaunt war ich, wie wenige Leute, denen ich von diesem genialen, außergewöhnlichen, legendären, besonderen Konzert erzählt habe, die Gruppe kannten. Bis ich merkte, dass die Zahl „50“, die auf dem Tour-T-Shirt prangt, welches ich natürlich unbedingt kaufen musste, das Lebensalter derer, denen ich davon erzählt habe, weit übersteigt ... .

Am Sonntagmorgen dann Gottesdienstbesuch in einer anderen Stadt. „Wer feiert, kann auch zum Gottesdienst!“ Gottesdienst. Einfach so. Als Gast.  Und dann: Fluchtimpulse. Während des Gottesdienstes. Und während der Predigt. Und diese Impulse beschäftigen mich seither. Gedanken rund um das Thema Gemeinde/Gottesdienst tauchen seither regelmäßig bei mir auf. Verbunden mit nagenden Fragen. Und Trauer. Und auch Enttäuschung über mich selbst.

Kann ich mich nicht mehr einfach hinsetzen und mich ‚beschenken’ lassen? Muss ich gleich alles kritisch beleuchten? Oder hat es schlicht und einfach damit zu tun, dass auf meinem Konzert-Tour-T-Shirt eine Zahl prangt, die nur wenig niedriger ist als mein Lebensalter? Bin ich traditionell? Konservativ? Der Gottesdienst war als „normaler“ Gottesdienst angekündigt. Und ich kam mir vor wie in einer Unterhaltungssendung. Unterhaltung hatte ich am Vorabend.

Nach Spirituellem hatte ich mich gesehnt. Nach ‚Nahrung’ für meine Alltagsseele. Eine gute halbe Stunde lang habe ich etwas aus dem Gemeindeleben erfahren. Und dann kam die Predigt. Aus dem Alltag des Kollegen habe ich etwas erfahren. Und über einen Bibeltext. Ich habe es nicht zusammenbekommen. Und ich frage mich: Wie predige ich eigentlich? Bekommen meine HörerInnen zusammen, was ich da sage, wenn ich auf der Kanzel stehe? Ach, Kanzel …, die gab es nicht in der Gemeinde, in der ich war. Nein, es kommt überhaupt nicht auf die Kanzel an sich an. Meine Güte, ich bin konservativ. Ich tue mich echt schwer mit den „vortrags-bewegungs-headsetumherlaufenden -powerpointunterstützten Predigtformen“. Oldtimer. Ich habe versucht, die Augen zu schließen, um von der Performance nicht abgelenkt zu sein. Aber dann ist es schon zu spät, wenn ich die Augen zu mache … .
Ich tippe diese Zeilen und merke, wie Enttäuschung wieder in mir hochkriecht. Wieso kann nicht alles einfach so sein wie früher? Bei Jethro Tull ist es doch auch noch so.

Ich versuche es mit biblisch-theologischen Argumenten. Krame hervor, was so in meiner exegetischen Schatzkiste zum Thema Gottesdienst und Predigt zu finden ist. Natürlich habe ich Argumente. Ich befürchte aber, dass ich mir eingestehen muss, dass jedeR seine/ihre Argumente hat. Und mein Kollege hat sicher mit ebensolchem Herzblut, mit Aufrichtigkeit und Hingabe den Gottesdienst und die Predigt vorbereitet, wie ich das tue (oder er hatte einfach mal eine schlechte Vorbereitungswoche, so wie ich das auch habe).

Was nun? Ich muss wohl lernen, besser mit Formen und Inhalten, die mich nicht ansprechen, umzugehen. Und ich muss mir wohl bewusst werden, dass Vieles vor allem eine Stilfrage ist. Und ich muss mir wohl auch die Frage stellen, wie meine Frömmigkeit und mein Glaube in den vergangenen Jahrzehnten geprägt worden sind. Und diese Prägung schüttele auch ich nicht so einfach ab. Aber ich muss lernen, dass es mich nicht mehr schüttelt.


Und ich blicke auf die Erlebnisse, die mich auch in der vergangenen Woche innerlich gestärkt haben. Es ist schon seltsam. Eine Beerdigung hat mich gestärkt, getröstet, mir Mut gemacht. Meine Pastorin in Oldenburg hat die Beerdigungspredigt für eine Frau, die ich sehr geschätzt habe, gehalten. Eine Beerdigungspedigt, die mich gestärkt hat. Liegt es doch am Alter? An meinem? 
Ruth Rehse ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Hin und wieder habe ich mit ihr nach dem Gottesdienst gesprochen. Sie war offen und zugewandt. Immer interessiert. Sie strahlte Gottvertrauen und Glaubensgewissheit aus, wie ich es mir nur wünschen kann. Zudem war sie die Schwester der Dozentin, von der ich mich so gerne habe prägen lassen. 
Noch mit 88 Jahren hat Ruth mir zugearbeitet. Sie war die beste Lektorin und orthographisch dermaßen versiert, dass sie bestimmt alleine in diesen Zeilen 38 Fehler gefunden hätte. Sie hat im Laufe der Jahre bestimmt 400 Andachten des Passionskalenders, für den ich mitverantwortlich war, korrigiert. Immer, wenn ich die Korrekturen dann abholte, haben wir kurz über die Andachten gesprochen. Sie fand nicht alle Andachten gut. An manchem Stil und Inhalt konnte sie nicht recht Freude finden.
Von vielen Andachten war sie aber auch angesprochen. 
Ich möchte angesprochen sein.

Das war ich diese Woche auch.

In der Taize-Andacht, die in der kleinen Dorfkirche von St.Peter-Dorf abends an meinem Anreisetag stattfand.