Festansprache
zur Verleihung des Missionspreises
„Andere Zeiten“ Pfingstmontag 2008
Pastorin Andrea Schneider
Heute feiern wir Geburtstag.
Pfingsten – Geburtstag der Kirche.
Ihren ca. – sagen wir mal –„1975.“ feiern wir.
Und was stellen wir fest: Die alte Dame ist in die Jahre gekommen.
Der Lack ist ab hier und da. Und - kein Wunder: Manche Glieder sind eingerostet.
Es knirscht zuweilen. Mit der Beweglichkeit ist es nicht mehr so… Ja, sie würde schon gern, wenn sie könnte… Und sie könnte auch, die alte Dame, denn ihr Herz ist jung - wenn… ja, wenn ein wenig frischer Wind ihre Glieder in Schwung bringen würde…
Wenn neue Be-Geisterung sie erfassen würde…
So sagen wir heute: Glückwunsch, alte Dame Kirche! Und wir haben dir auch etwas mitgebracht. Wir schenken dir zu deinem Ehrentag Ideen und Projekte, die dein Herz höher schlagen lassen werden. Die dir Lust machen, dich in Bewegung zu setzen - hin zu den Menschen. Die dir Schwung geben, das zu sein, was du eigentlich schon immer warst und auch heute sein sollst: Ein Ort, wo Menschen Gott treffen können. Manchmal ganz unvermutet. Lass dich also überraschen, alte Dame Kirche!
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, liebe Mitglieder und Freunde desVereins „Andere Zeiten“!
Ich war schon sehr gespannt. Gemeinsam mit sechs anderen sollte ich aus 27 völlig unterschiedlichen Bewerbungen das oder die missionarischen Preisträgerprojekte aussuchen.
Wie soll das gehen? So saßen wir an einem Nachmittag Mitte Januar hier in der Fischers Allee oben unterm Dach zusammen vor unseren dicken Aktenordnern mit den Projektvorstellungen:
Die evangelische Pröpstin und die katholische Journalistin, der Superintendent ganz aus dem Osten und der emeritierte katholische Professor, der Pater und der Unternehmensberater und die evangelisch-freikirchliche Rundfunkpastorin.
Wie da auf einen Nenner kommen? Würde es eine Mitternachtssitzung werden?
Wir verabredeten, dass zunächst jede, jeder kommentarlos seinen, ihren Favoriten nennen sollte. Eine Nummer – die Projekte hatten eine durchlaufende Nummerierung – wurde genannt. Und wieder dieselbe. Und noch einmal. Der nächste war dran: Ich trau mich fast nicht, aber auch ich…Der nächste: Ich hatte zwar eigentlich zunächst …, aber ich könnte gern auch…
Nach zehn Minuten war klar: Das „Ökumenische Kirchenschiff St. Peter Ording“ ist unser Preisträgerprojekt. Jetzt gleich die Sitzung beenden? Natürlich nicht. Aber große Freude über diese so schnelle und klare – geistgewirkte? – Übereinstimmung.
Und dann die Frage: Was ist es, das uns an diesem Projekt so überzeugt?
Da arbeiten in St. Peter Ording, einem der größten Tourismus- und Kurorte an der deutschen Nordseeküste, schon seit einigen Jahren eine katholische und eine evangelische Kirchengemeinde zusammen, um durch ganz unterschiedliche Veranstaltungen und Projekte Menschen zu erreichen, die, wenn sie nach St. Peter Ording kommen, vor allem eins haben: Zeit. Und vielleicht auch die Frage nach dem Sinn des Lebens und nach Gott. Viel hat diese kleine ökumenische Tourismusseelsorge schon zusammen auf die Beine gestellt – bis hin zum gemeinsamen Logo, das zeigen will: Wir sind als Kirchen gemeinsam für die Menschen da. Das hat uns gleich gefallen: die verwurzelte ökumenische Ausrichtung des Projektes.
Und dass es aufbaut auf bereits gelungenen gemeinsamen Erfahrungen und Projekten. Nach dem vor einigen Jahren gestarteten Projekt „Kirchen-Strandkorb“ als Anlaufstelle der Tourismusseelsorge am Strand soll es nun ein ökumenisches Kirchenschiff geben. Denn wenn schon St. Peter Ording keinen Hafen hat, dann soll der Ort wenigstens sein Schiff kriegen – am Strand. Das leuchtet doch ein, oder??
Ca. 10 m lang und 3,5 m breit - ein Spielschiff für Kinder und Jugendliche mit Kletterseil und Fangnetz und allem Pipapo.
Ein Veranstaltungsschiff mit Kirchenfahne, aus dem die unterschiedlichste Musik erklingt vom Kinderlied bis zum Gospel. Auf dem Sonnenaufgangs- und -Untergangsandachten gefeiert werden können, wo Bibeltheater stattfindet oder eine Talkshow mit prominenten Menschen aus der Region…ein Treffpunkt für Open-Air-Gottesdienste oder spirituelle Wanderungen an der Waterkant – eben ein Kirchenschiff, das Groß und Klein, Alt und Jung, Fromm und Kirchenfern einlädt, ein Stück mitzufahren und mitzuerleben, wie Kirche auch sein kann. In erholsamen Feier-Zeiten des Lebens, aber auch in schweren Sturm-Zeiten.
Wir finden die Idee sehr überzeugend: vielseitig, jederzeit veränderbar und doch klar im Profil. Für unterschiedliche Generationen und Interessengruppen. Originell und doch nicht aufgesetzt fremd. Wunderbar eingepasst in die norddeutsche und die Kirchen-Landschaft: Ein besonderes „Schiff, das sich Gemeinde nennt“.
50.000 Euro hätte es gekostet, hätte man es komplett bauen lassen. Aber – und auch das war für uns ein wichtiges Argument für die Preisvergabe - dieses Schiff hat viele Baumeister und Baumeisterinnen, die sich ehrenamtlich engagieren. Ein schon erprobtes Team von Handwerker-Senioren der beteiligten Kirchengemeinden baut unter fachmännischer Anleitung das Kirchenschiff. Hat bestimmt schon begonnen, denn der Sommer ist ja schon da….Jugendliche aus Stadt und Kirchengemeinden St. Peter Ording dürfen dann künstlerisch wertvoll die Schiffsaußenflächen gestalten…
Toll, das macht so richtig Lust aufs Mitmachen, auch wenn man es nur liest! Senioren und junge Leute, Profis vom Baufach und engagierte Ehrenamtliche, der Bürgermeister, der Tourismusdirektor, die Diakonin und der Pastoralreferent planen und bauen gemeinsam ein Schiff.
Ach ja, natürlich nicht zu vergessen: auch der städtische Bauhof mit seinen Mitarbeitern ist beteiligt. Denn das in zwei Teilen konstruierte Schiff muss ja – wie die Strandkörbe – zu Saisonanfang und –Ende zum Strand hin und wieder zurück transportiert und im Wintereingelagert werden…
Das Kirchenschiff –es verbindet wirklich weltliche und kirchliche Gemeinde! Gut, dass es bei so vielen unterschiedlichen Beteiligten auch klare Vorstellungen gibt für Auswertungs- und Reflexionsrunden.
Liebe Diakonin Andrea Streubier, lieber Pastoralreferent Michael Wrage, wir wünschen Ihnen als Hauptverantwortlichen für das Kirchenschiff-Projekt St.Peter Ording und Ihrem ganzen bunten Team, zu dem auch St.Peter Ordings Bürgermeister gehört – Herzlich Willkommen! - viel Freude, Nervenkraft, Windkraft des Geistes Gottes und sagen fröhlich: „Schiff ahoi!“
Und wer weiß, vielleicht kommt der eine oder die andere der hier Anwesenden demnächst mal vorbei am Strand von St. Peter Ording…
Sehr unterschiedliche Projekte wurden für diesen erstmalig ausgelobten Missionspreis des Vereins „Andere Zeiten“ eingereicht.
An dieser Stelle ein dickes Dankeschön zurück an den Verein, der mit seinem Missionspreis vielen Gemeinden und christlichen Initiativgruppen einen Schub gegeben hat, das eigene Profil zu schärfen und die missionarische Idee zu konkretisieren. Diese Idee des Missionspreises an sich ist schon eine Belebung der missionarischen Aktivitäten in unserem Land.
Eigentlich – so haben wir als Jury zwischendurch mal gedacht – müsste der Missionspreis auch an den Verein „Andere Zeiten“ selbst gehen…
In der Fülle der Projekte waren viele, die interessant und engagiert ihr Anliegen vertreten haben. Und wir wünschen, dass auch diese Projekte weiter vorangetrieben werden. Vielleicht hätte eine anders zusammengesetzte Jury letztlich auch andere Prioritäten gesetzt. Aber nach längerem Abwägen hat diese Jury – in aller Demut, aber doch überzeugt - entschieden, abgesehen vom Hauptpreis drei Projekte auszuzeichnen, die in der Fülle der Bewerbungen herausragend für sozusagen jeweils verschiedene Kategorien stehen:
Da ist als besonderer „missionarischer Ort“ – also in der Kategorie christliches Café, Kneipe, Begegnungsstätte – das Ladenlokal des Motoki-Kollektivs in Köln-Ehrenfeld.
Von einem heruntergekommenen, von Arbeitslosigkeit geprägten ehemaligen Arbeiterviertel entwickelt sich der Stadtteil zu einem buntgemischten Szeneviertel mit Kneipen und Galerien, Künstlern und Studierenden, mit schickem Wohnen und bescheidenem Einkaufen im Ein-Euro-Laden….
In diesem sehr speziellen Umfeld will die christliche Gemeinschaft „Motoki“ in ihrem Künstlercafé durch Aktionen, Konzerte, Ausstellungen usw. Interesse für den Glauben wecken unter Leuten, die dem Christentum eher intellektuell-kritisch gegenüber stehen, die Lust haben auf Kommunikation und Alternatives. Glaube soll ganzheitlich erlebbar werden, auch unterstützt durch ein gleichzeitig erscheinendes hochwertiges Magazin mit dem Titel „Froh“.
Zeitrahmen für die Eventwochen ist die „Hoch-Zeit“ für kirchliche Verkündigung -Advent und Weihnachten. Daher der Name für die Aktion: „Frohe Weihnachten“.
Also: Frohe Weihnachten – mal ganz anders, für Leute, die sonst eher gar nichts mit diesem christlichen Fest und dieser kirchlichen Tradition anfangen können.
Eine spannende Idee! Glückwunsch an Michael Schmidt und Dorle Schmidt aus dem Vereinsvorstand, Glückwunsch an das ganze Motoki-Kollektiv und schon jetzt:
Frohe Weihnachten!
Missionarisch aktiv werden, heißt immer auch, dahin gehen, wo die Menschen sind. Ihr Leben, ihre Interessen, ihr Hobby teilen, hier zwanglos für Gespräche über Gott und die Welt zur Verfügung stehen. Und so vielleicht eine ganz neue Zielgruppe für das Christsein zu interessieren.
Als Beispiel für ein besonderes missionarisches Zielgruppen-Projekt zeichnen wir die Aktion „ewigkite.de“ aus. Das Wortspiel ewig.kite ist Programm: die Zielgruppe sind Drachenflieger und Power-Kiter – die junge Szene einer neuen Trendsportart.
Auf großen Drachenfestivals z.B. will Initiator Pastor Carsten Hokema mit seinem Team mit anderen Kite- und Drachenbegeisterten ins Gespräch kommen, über das gemeinsame Hobby, über Gott und die Welt und - ja, letztlich auch über die Ewigkeit…Dass er selbst auch ewig kiten könnte – das ist zu vermuten…
Als langjähriger regionaler Jugendpastor hat er bereits viel Erfahrung mit Kitesurf-Freizeiten und als Referent im Dienstbereich Mission seiner Freikirche kann er gemeinsam mit anderen nun ein verrücktes missionarisches Projekt verwirklichen, zu dem u.a. auch eine vielseitig einsetzbare aufblasbare Kirche gehört und das unter dem Motto steht: Wie den Griechen ein Grieche, so den Kitern ein Kiter…
Glückwunsch also an Carsten Hokema und sein Team, und immer den richtigen, nicht zu starken und nicht zu schwachen Wind unterm Drachen!
Und last but not least zeichnen wir die „Kleine Kinder-Kirche Lübow“ aus. Dieses Projekt ist für uns als Jury ein besonders schönes Beispiel für missionarisches Engagement in einem schwierigen Umfeld, nicht spektakulär, wie die Antrag stellende Gemeinde selbst feststellt, aber realisierbar und gut eingewurzelt in die sonstige, auch stark ehrenamtlich geprägte Gemeindearbeit.
In Lübow am Rande von Wismar steht die älteste Kirche Mecklenburgs, in gutem Zustand, aber für die Gemeinde mit hohen Krediten belastet. Der Pastor ist auch für andere Gemeinden zuständig (Pastor Wenzel muss heute auch zwei Gottesdienste halten…) die Katechetenstelle wurde schon vor Jahren ersatzlos gestrichen. Der Ort Lübow dagegen hat seine Einwohnerzahl seit der Wende verdoppelt, gerade auch junge Familien ziehen zu.
Das für die neuen Bundesländer ungewöhnlich wohlwollende Interesse der weltlichen Gemeinde an der kirchlichen wird schon genutzt für verschiedene Aktionen, die über das traditionelle Gemeindeleben hinaus gehen. Und nun soll es für ältere Kindergartenkinder und jüngere Grundschulkinder ein Angebot geben, das sie kindgerecht in den christlichen Glauben einführt – sie und auch ihre ja zumeist völlig ohne Kirche aufgewachsenen Eltern. Und dazu braucht es – bei allem zusätzlichen ehrenamtlichen Engagement - eine katechetische Mitarbeiterin auf Honorarbasis. Das wollen wir gern fördern – mit dem Preisgeld ja vielleicht sogar noch etwas länger als ursprünglich geplant.
Herzlichen Glückwunsch an die Gemeinde, stellvertretend an die beiden Kirchenältesten Ramona Tannert und Dr. Fischer,und schöne Grüße nach Lübow!
Und wer weiß – Gott möge es schenken – vielleicht füllt sich die älteste Kirche Mecklenburgs ja bald noch mehr mit viel jungem Leben…
Ja, liebes Geburtstagskind, verehrte alte Dame Kirche, das ist unser Geschenk an dich heute, zu deinem Fest:
Ein Kirchenschiff am Schleswig-Holsteinischen Strand, ein Laden-Künstler-Café in einem Szeneviertel in Köln, eine aufblasbare Kirche inmitten von sportbegeisterten Kitern, eine kleine Kinderkirche in einem Dorf in Nordostdeutschland, wo die Menschen nicht mehr viel wissen von dir und deinem Herrn.
Aber viel wichtiger als Orte oder Bauten sind die Menschen, die dahinter stehen, bzw. da mitten drin. Mit ihrer Zeit, ihrer Kraft, ihrem Glauben. Mit ihrer Begeisterung, die andere anstecken soll.
Ich hoffe, du freust dich über dieses Geschenk, alte Dame Kirche. Es macht dir Lust, die alten Glieder zu strecken, dich zu bewegen. Du spürst: Im Grunde bin ich ganz jung!
Die Welt ist doch noch nicht von allen guten Geistern verlassen. Nein, Gottes guter Geist weht und wirkt.
Also: Frohe Pfingsten!
Ein paar Bilder von der Preisverleihung!