Neu bei an(ge)dacht - Der Kirchturm
Ich habe einen ganz besonderen Ausblick aus meinem Schlafzimmer.
So nah dran wie ich ist sonst niemand!
Ich wohne in Hamburg-Altona in einer Straße, die geprägt ist von eng aneinander stehenden mehrstöckigen Häusern.
Vor dem Haus, in dem ich wohne, ist ein kleiner Park.
In ihm treffen sich regelmäßig ganz unterschiedliche Menschen.
Sie sitzen dann immer unter dem Kirchturm, den ich so nah wie kein anderer aus etwa 20 Meter Entfernung aus meinem Schlafzimmerfenster sehen kann.
Seit gut 100 Jahren steht er dort mitten in Altona am Holstenbahnhof.
Ich freue mich immer, dass er da ist. Ich finde ihn schön. Und wenn die aufgehende Sonne seine Backsteine in warmes Licht taucht, dann wird auch mir warm um‘s Herz. Manche Leute finden Kirchen im Stadtbild zu dominant.
Auch Kirchtürme findet nicht jeder schön. Ich vermute, dass alle meine Nachbarn und ich uns darüber einig sind, dass wir es nicht sooo schlimm finden, dass die Kirche vor unseren Fenstern keine Glocken mehr hat.
Im zweiten Weltkrieg ist die Kirche durch eine Bombe komplett ausgebrannt, und die Glocken wurden zerstört. Sie wurden beim Wiederaufbau zehn Jahre später nicht wieder eingesetzt.
So steht er einfach still da, der Kirchturm. Mitten im Stadtteil.
Für etliche Bewohner des Stadtteils, die seine Geschichte kennen,
ist der Kirchturm ohne Glocken ein Mahnmal für den Frieden.
Für viele Bewohner des Stadtteils ist er zu einem Zeichen des
Miteinanders geworden: Sie treffen sich im kleinen Park zu seinen Füßen.
Manche folgen sonntags auch seiner stillen Einladung zum Gottesdienst.
Sonntags stehen die Kirchentüren weit offen, um zu verdeutlichen,
dass die Einladung zum Gottesdienst allen gilt.
Um diese Einladung wahrzunehmen, braucht man keine Kirchenglocken,
um aus dem Bett zu kommen.
Ein einfacher Wecker tut es auch.