Andachten Herbst 2019
Mauer
Es gibt Bibelworte, die hört mancher gar nicht gerne. Weil sie unbequem sind und einen infrage stellen. Z.B. dann, wenn man Mitarbeiter der Staatssicherheit in der DDR war.
Das muss jedem Stasi-Mitarbeiter doch durch Mark und Bein gegangen sein, wenn vor über 30 Jahren in einem Gottesdienst aus Psalm 18 vorgelesen wurde: „Der Herr macht meine Finsternis hell und (…) mit meinem Gott kann ich über Mauern springen!“
Da muss eine Zensur her, das geht doch nicht!
Wenn man Menschen festhalten und einengen will, dann spricht jedoch nicht nur dieser eine Bibelvers dagegen. Nein, man müsste die ganze Bibel zensieren. Der Gott, von dem die Bibel berichtet, ist ein Gott, der Freiheit will. Er möchte keine Mauern, nichts Trennendes zwischen sich selbst und den Menschen, die er so sehr liebt. Und alle Zäune, Schranken, Mauern, alles Aus- und Abgrenzende, das Menschen zwischen sich und anderen aufbauen, passen auch so gar nicht zur Gesamtaussage der Bibel.
Jesus hat sich nicht an Grenzen gehalten. Er hat sie überwunden. Ist auf andere zugegangen. Hat immer die Hand gereicht.
Nie hat er gewaltsam Grenzen überschritten oder Mauern eingerissen.
Gewaltsam eingerissene Mauern weisen auf Zerstörung und Hass hin.
Am 9.November 1938 wurden in unserem Land Mauern gewaltsam eingerissen und niedergebrannt. In der Pogromnacht. Deswegen gedenken wir noch heute der Opfer des Nationalsozialismus.
Am 9.November 1989 wurde in unserem Land eine gewaltige Mauer friedlich überwunden. Darüber freuen wir uns noch heute.
Vielen Menschen, die benachteiligt, verfolgt oder unterdrückt werden ist zu wünschen, dass sie das erleben: ‚Der Herr macht meine Finsternis hell!’.
Und allen, die Kraft haben, Mauern friedlich zu überwinden, kann dieser Vers neu Mut machen: ‚Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen!’
Foto: Shoot nDesign/ unsplash
Lächeln
Jetzt wohne ich also in Hamburg. Mein Umzug liegt gerade hinter mir. Vieles kommt mir fremd vor. Vertrautes vermisse ich.
Wir wird wohl alles werden?
Drei Tage nach dem Umzug war ich zum An- und Ummelden in einer Behörde. Behörden sind nicht unbedingt die Orte, die ich als erste mit guter Laune, Mutmachendem und schönen Erlebnissen verbinde.
Umzug? Na ja, dann muss das jetzt wohl auch sein. Ich hatte, etwas umzugsgestresst, kaputt, unausgeschlafen und übellaunig meine Wartemarke gezogen und mich auf eine Wartezeit von mehreren Stunden eingestellt. Nach zwei Minuten wurde meine Nummer aufgerufen. Überraschung.
Als ich dann die Tür zum Büro der Sachbearbeiterin öffnete, noch eine Überraschung. Die Angestellte lächelte mich einfach an. Hätte sie mit diesem freundlichen offenen Lächeln Werbung für irgendein Produkt gemacht, ich hätte es ihr, egal, was es gewesen wäre, sofort abgekauft.
So viel Lächeln und Freundlichkeit hatte ich lange nicht mehr auf einem Bürostuhl erlebt. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich selbst beste Laune. Trotz einiger Hindernisse – ich hatte natürlich nicht alle Unterlagen dabei, die man eigentlich dabei haben muss – waren die Formalitäten recht flott erledigt.
Und dann habe ich mich getraut zu fragen. ‚Sagen Sie, äh, … aber wieso sind sie so freundlich? Und sie lächeln so …’. Wir kamen kurz ins Gespräch und sie erklärte mir, dass sie sich einfach mal vorgenommen hat, freundlicher zu sein. Mehr zu lächeln. Und sie hat dann schnell gemerkt, dass auch ihr Gegenüber freundlicher reagiert, auch mal lächelt.
Ja, das ist wohl so!
Ein indisches Sprichwort lautet:
Das Lächeln, das du aussendest, kehrt zu dir zurück.
Foto: Gabriel Silverio/ unsplash
Umzug mit Zelt
Jetzt habe ich langsam aber wirklich genug! Ich habe gerade den fünften Umzug innerhalb von drei Monaten hinter mir. Wir wurden als Familie in alle Winde zerstreut. Zunächst habe ich beim ersten Sohn geschleppt, dann beim zweiten mitgetragen. Beim Umzug meiner Mutter habe ich Kartons gehoben. Dann kam der erste eigene Umzug nach Hamburg in die Übergangswohnung, weil die richtige noch renoviert wurde. Wieder heben, hieven, tragen. Letzte Woche habe ich dann wirklich die allerletzten Kisten in die richtige und renovierte neue Wohnung gestemmt. Jetzt reichts!
Mag ja sein, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt, aber ganz bestimmt nicht jedem Umzug.
Wer seine Zelte irgendwo abbricht und an anderer Stelle aufschlägt, der weiß, wie mühsam das sein kann. Nicht nur äußerlich, auch innerlich.
Man hat Etliches zu verarbeiten, muss Altes loslassen und Neues anpacken.
Im Johannesevangelium wird Jesus quasi als ein Umzugsprofi vorgestellt.
Er wird als einer bezeichnet, der auf die Welt kam, um bei den Menschen zu sein. Und nicht nur das.
Wörtlich heißt es an einer Stelle: ‚Gott wurde Mensch und wohnte bei uns’. Das Wort ‚wohnen’ bezeichnet hier aber nicht das Leben in einer Mietswohnung oder in einem Haus aus Stein, in dem man jahrelang bleibt.
‚Wohnen’, das kann man angemessener mit ‚zelten’ ins Deutsche übertragen. „Und Jesus zeltete unter uns!“ Damit war den damaligen Lesern der Bibel, die aus einer nomadischen Tradition kamen, klar:
Wenn man weiterzieht, dann zieht Jesus mit. Mit uns bricht er sein Zelt ab und schlägt es dort auch wieder auf, wo wir neu ankommen.
Ein schöner Gedanke, finde ich.
Ich formuliere es jetzt mal so:
Jedem Umzug oder überhaupt, jedem Neuanfang,
wohnt der Glaube inne, dass Gott dabei ist.
Foto: Josh Hild/ unsplash
Kinder
Die Stimmen der kleinen Kinder und das Räder-Rattern ihrer Dreiräder dringen an mein Ohr. Gut gedämpft durch die Dreifachverglasung meines Fensters. Seit ein paar Wochen habe ich ein neues Arbeitszimmer. Es grenzt an einen Kindergarten. Wenn ich meinen Blick über den Computerbildschirm hebe, schaue ich direkt auf den dazu gehörigen Spielplatz. Ich sehe wuseliges Leben, lachende und weinende Kindergesichter, einfach knuffige Kinder. Ab und zu sehe ich auch die Freude oder den Stress der Eltern, wenn sie ihre Kinder bringen oder abholen.
Glücklicherweise stören mich die Geräusche nicht. Ich kann mich gut konzentrieren, wenn ich den Blick nicht hebe. Aber wenn ich zu den Kindern aufschaue, dann kann es schon passieren, dass ich ein paar Minuten in eine andere Welt abtauche. Ich schaue dann den Kindern zu, freue mich über sie und beobachte, was hinter meinem Bildschirm vor meinem Fenster passiert. Und da passiert jede Menge!
‚Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, dann werdet ihr nicht in das Reich Gottes kommen’. Das hat Jesus einmal gesagt.
Welchen Aspekt des Kindseins hat er wohl damit gemeint?
Manchmal beobachte ich, wie ein Kind auf eine Erzieherin zugeht und sich dann ganz vertrauensvoll auf deren Schoß setzt. Für mich strahlen diese Szenen Vertrauen und Geborgenheit aus.
Die Kinder machen das einfach. Mit ihren Freuden oder Sorgen vertrauen sie sich den Erwachsenen an. Und auch ihren Eltern, wenn diese beim Abholen auf den Hof kommen und ihre Arme ausbreiten, laufen sie ihnen einfach freudestrahlend entgegen. Sie vertrauen ihren Eltern: ‚Die meinen es gut mit mir!’
Als Erwachsene sollen wir bestimmt nicht kindisch sein.
Aber wir sollten hin und wieder aufschauen zu den Kindern. Von ihnen lernen. Vertrauen lernen und uns dann auch vertrauensvoll an Gott wenden.
foto: Hisu Lee/unsplash
Schlaflos
Ich taste nach meinem Handy. Das Ziffernblatt der Armbanduhr kann ich im Dunkeln nicht erkennen. Das Handy-Display leuchtet auf: 3 Uhr 12.
Oh nein. Erst drei Uhr. Ich liege so wach im Bett, als hätte ich gerade nach einer kalten Dusche zwei Tassen heißen Kaffee getrunken.
Umdrehen. Bettdecke an den Körper drücken.
‚Ich schlafe jetzt wieder ein!’. Nichts zu machen.
Wie machen das andere Leute, wenn sie nachts wach liegen? Mir passiert das in letzter Zeit öfter mal. Eine Runde Yoga im Dunklen? Allein beim Gedanken wird mir schwarz vor Augen. Kügelchen, Medikamente, Pillen? Ich glaub’, dann schlaf’ ich 16 Stunden am Stück! Einfach so tun, als wäre das ganz normal und weiterschlafen? Das versuche ich manchmal stundenlang und wälze mich dabei immer wieder von einer Seite auf die andere!
Es gibt auch noch eine religiöse Variante, um mit nächtlichen Wachzuständen umzugehen. Einer der vielen Bibelverfasser schreibt von sich: ‚Nachts liege ich wach und denke über dein Wort nach.’
Eine Bekannte erzählte von einer fröhlichen alten Dame, die im Altersheim oft nachts wach lag. Sie hatte als Kind in der Schule die biblischen Psalmen auswendig gelernt. Und die hat sie dann nachts immer leise für sich gesprochen. Auch wenn sie nicht schlief, wurde sie dabei ruhiger und entspannter.
Das ist aber auch nichts für mich. Ich kann nachts nicht über Gott nachdenken. Und auch nicht über ‚Gottes Wort’. Ich will einfach nur schlafen. Hin und wieder stehe ich mitten in der Nacht einfach auf. Lese oder arbeite, bis ich wieder müde bin und einschlafen kann. Wenn ich dann wegschlummere, denke ich manchmal noch an einen anderen Bibelvers: ‚Gott, wenn ich aufstehe, so weißt du es. Du verstehst meine Gedanken von ferne. Und auch, wenn ich mich hinlege, bist du bei mir.’
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Einparkassistent
Ein Blinken, ein Piepen und dann bewegt sich das Lenkrad plötzlich wie von Geisterhand. Ich bekomme einen Schreck! Beim Kauf des Gebrauchtwagens, in dem ich gerade zum ersten Mal sitze, hatte ich das Ausstattungsmerkmal ‚Automatischer Einparkassistent’ offensichtlich übersehen. Nein, keine Geisterhand, denke ich, sondern Wunder der Technik. Ich brauch’ nur noch den Vorwärts- oder Rückwartsgang einzulegen und etwas Gas geben. Der Rest passiert wie von alleine.
Nach dem ersten wundersamen Bewegungsablauf des Autos bewegt mich eine Frage: ‚Müssen Fahrschüler heutzutage eigentlich noch einparken lernen?’ Die Antwort gebe ich mir ziemlich schnell selbst. Na klar müssen sie das! Man weiß ja nie, ob die Technik immer mitspielt.
Und tatsächlich, beim nächsten Einparken per Knopfdruck signalisiert mir die Leuchte im Cockpit, dass ich doch lieber die Hände ans Lenkrad legen soll.
Das wäre mal was, wenn man nicht nur im Auto, sondern für sein ganzes Leben eine Hilfe hätte, die einen wie von selbst durchs Leben steuert.
Es gibt so viele Abzweigungen, unbequeme, auch enge Wege, Entscheidungen, die man treffen muss. Wenn mir das einfach jemand aus der Hand nehmen würde, für mich entscheiden, das Lenkrad meines Lebens bewegen, für mich handeln würde. Das wär’ doch was!
Als Christ wünsche ich mir das manchmal auch. Kann Gott nicht einfach mal das Steuer übernehmen? Mir ganz genau sagen, was zu tun und was zu lassen ist? Das wäre so schön einfach. Und auch bequem.
Na ja, Gott sagt mir schon, was zu tun ist. Wie ein Fahrlehrer seinem Fahrschüler. ‚Nimm dein Leben selbst in die Hand. Du kannst das. Du schaffst das. Lass’ den Kopf nicht hängen.’
In der Bibel hat Gott es einmal so gesagt: „Sei mutig und entschlossen! Hab keine Angst und lass dich durch nichts erschrecken; denn ich, der Herr, dein Gott, bin bei dir, wohin du auch gehst!“
foto: ivana cajina/unsplash
Lächeln
„Jeder Tag, an dem du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag.“
Weise Worte von Charlie Chaplin, der viele Menschen zum Lächeln gebracht hat.
Der Komiker Chaplin hat bei vielen Menschen durch seinen Humor und seine irrwitzigen Filme voller Situationskomik , durch seine Art, Dinge zu nehmen oder Begebenheiten darzustellen, für ein Lächeln gesorgt.
Man braucht aber nicht unbedingt einen Komiker um sich zu haben, um das Leben in einem anderen Licht zu sehen.
Vielleicht haben wir das Glück, von Menschen umgeben zu sein, die uns wohl gesonnen sind, die uns freundliche, lächelnde Blicke zuwerfen, sobald sie uns sehen. Dann fühlen wir uns angenommen, freundlich wahrgenommen und gleich irgendwie besser. Und auf Menschen, die uns anlächeln, reagieren wir viel positiver als auf Leute mit düsterem Blick.
Es gibt sogar eine Wissenschaft des Lächelns. Eine US-amerikanische Forschergruppe hat herausgefunden, dass in Ländern mit Einwanderungstradition und vielen Einwanderern deutlich mehr gelächelt wird. Weil man in diesen Ländern gelernt hat, dass man Fremde vertraut machen muss. Dazu gehört das Zeigen von Emotionen – und gerade auch von positiven Emotionen. Das Lächeln gegenüber Fremden ist ein Vertrauensvorschuss. Darum gibt es z.B. in Kanada und Neuseeland, klassischen Einwanderungsländern, eine besondere Kultur des Lächelns, mit der man Fremde freundlich willkommen heißt.
Gedanken über die Kultur des Lächelns kann man gut mit weisen Worten aus dem Mund Jesu kombinieren:
„Was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut ihnen auch!“
Das ist für Jesus eine wichtige Zusammenfassung für ethisches Verhalten.
Und man kann diese weisen Worte ganz einfach ausprobieren:
„Was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut ihnen auch!“
Wenn ich möchte, dass mich jemand anlächelt, einfach, weil dann das Leben schöner ist, dann sollte ich sie oder ihn anlächeln.
Was möchte ich denn noch, dass die Leute mir tun?
Ich möchte, dass sie freundlich über mich reden.
Das tue ich jetzt auch ganz neu. Ich rede freundlich über andere.
Ich möchte ernst genommen werden.
Ich nehme meine Kollegen wieder ernst.
Ich möchte offen und ehrlich angesprochen werden.
Ich gehe offen und ehrlich auf meine Mitmenschen zu.
Es geht. Ich behandle andere Menschen so, wie ich von ihnen behandelt werden möchte. Viele Begegnungen werden mir und anderen ein Lächeln auf die Lippen zaubern.