Gott, der Befreier der Unterdrückten

Fragt man nach Gott, so erhält man nicht selten Antworten, die irgendwie philosophisch oder weitschweifend erklärend und beschreibend sind. Antworten, die versuchen, den Unfassbaren oder das Unfassbare in Worte zu fassen. Vokabeln wie „die Macht“, „die Idee, die hinter allem steht“, „irgendwo, aber man kann nicht genau sagen, wie“. Und gesehen hat ihn sowieso noch keiner und beweisen kann man ihn erst recht nicht. Und in der Folge der bekannten Religionskritiker wie Feuerbach oder Freud: Die „Idee“ Gott ist eine Einbildung des Menschen, der ein höheres Wesen oder ein absolutes Ich braucht, um sich daran orientieren, rückbinden zu können. Nicht selten kommt es dann zur Aussage, dass hinter allen Gottesvorstellungen und auch hinter allen Gottesbezeichnungen sowieso der eine Gott stecken würde und man möge bitte so tolerant sein und die anderen Religionen als in ihrem Gottesbild oder Gottesglauben gleichwertig zu betrachten.

Im 5.Buch Mose, Kapitel 6, wird den Hörern und Lesern des biblischen Textes ein wenig toleranter Gott vorgestellt. Ein Gott nämlich, der es nicht toleriert, dass Menschen, dass sein Volk unterdrückt wird. Gott wird als der beschrieben, der nicht irgendwie nebulös im Himmel oder sonstwo rumsitzt und sich einen schönen Tag nach dem anderen macht, sondern der sich einmischt in die Geschichte der Armen und Unterdrückten und damit auch in die Geschichte der Reichen und Unterdrücker.

„Wenn dich nun dein Sohn morgen fragen wird: Was sind das für Vermahnungen, Gebote und Rechte, die euch der HERR, unser Gott, geboten hat?, so sollst du deinem Sohn sagen: Wir waren Knechte des Pharao in Ägypten, und der HERR führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand; und der HERR tat große und furchtbare Zeichen und Wunder an Ägypten und am Pharao und an seinem ganzen Hause vor unsern Augen und führte uns von dort weg, um uns hineinzubringen und uns das Land zu geben, wie er unsern Vätern geschworen hatte.“
5.Mose 6, 20 ff

Einen „heile“ Familiensituation ist die Ausgangssituation für diese Worte. Ein Sohn fragt seinen Vater. Man kann sich das durchaus etwas romantisch vorstellen. Abends vielleicht am Lagerfeuer. Oder vor oder nach einem religiösen Fest. Zumindest zu einer Zeit, in der die Generationen noch ganz natürlich miteinander im Gespräch waren. In der man auch – und sogar Kinder – nachgefragt haben, was es mit religiösen regeln und Riten auf sich hat. Und nun könnte man ja meinen, wenn der Sohn oder auch die Tochter schon mal nachfragt, was es denn mit den „Geboten und Rechten“ so auf sich hat, dass der Vater oder die Mutter nun endlich mal ordentlich zulangen und dem Kind so richtig einen einschenken und sagen, was es denn mit den ganzen religiösen Lebensregeln, Gesetzen und Vorschriften so auf sich hat.

Wenn ein Kind schon mal nachfragt, dann aber gleich in die Vollen. Dann erkläre ich ihm oder ihr auch, warum es gut ist, sich an Regeln und Gesetze zu halten, warum es auch auf religiösem Gebiet von Vorteil sein kann, wenn man Lebensregel als „Geländer“ hat. Aber weit gefehlt. Die Eltern sollen die Frage des Kindes nicht als Sprungbrett für einen Moralvortrag halten.

Vielmehr als Sprungbrett für eine flammende Rede über den Gott, der nicht ideenhaft und steif im Himmel sitzt, der sich nicht nur leidenschaftlich auf die Seite der Unterdrückten stellt, sondern diese auch an die Hand nimmt und dafür sorgt, dass ihr Leben besser wird.

„Wir waren Knechte des Pharao in Ägypten und der Herr führte und aus Ägypten mit mächtiger Hand.“ Bemerkenswert ist, dass die Formulierung „und führte uns von dort weg“ gleich im nächsten Satz noch einmal auftaucht. So, also ob man das gar nicht oft genug sagen kann.

Zum Wesen Gottes gehört es, dass er befreit. Dass er „wegführt“. Dass er dafür sorgt, dass die Unterdrückung aufhört. Diese „Gottesidee“ ist schon ziemlich einzigartig. Dabei handelt es sich nicht um eine Idee (die „Idee“ der Befreiung, die „Idee“ der Bevorzugung der Unterdrückten o.ä.), sondern um das Eingreifen Gottes selbst.

„Der Herr tat große Zeichen an Ägypten“.Gott selbst greift ein. Bibelleser erinnern sich vielleicht daran, dass der Pharao sich ziemlich damit geplagt hat, das Volk Israel ziehen zu lassen. Dafür gab‘s mache Plage. Ziemlich schaurig. Den Schauer von Heuschrecken, Hagel und allem möglichem Anderen den lässt Gott denen auf den Kopf fallen, die andere vor sich niederfallen lassen. Die „Zeichen“ Gottes sind für die Gläubigen nicht schmerzhaft. Die Unterdrücker erhalten aber selbst Druck. Ob die Zeichen nun Legendenbildung sind oder nicht, ob sie tatsächlich stattgefunden haben oder nicht, ob sie „zufällige“ Naturereignisse sind oder bewusst herbeigeführte Naturschauspiele, das ändert sicher nichts am Glauben der Israeliten, die in diesen Geschehnissen ihren befreienden Gott sehen. Die gläubig „interpretieren“. Das Leben – und auch das gläubige Leben -, da muss man auch den Religionskritikern und Psychologen Recht geben, ist ja nie etwas anderes als Interpretation des Vorfindlichen. Nichts und niemand ist absolut.

Der Interpretation des jüdischen Glaubens schließe ich mich aber gerne an: Gott ist ein „Wegführer“ und Befreier. Er schlägt sich auf die Seite der Armen. Was für ein „Gottesbild“! Sowas hat sich sonst keiner ausgedacht. So kann man eigentlich nicht von Gott denken. Götter lassen sich verehren. Sie lassen sich vielleicht durch religiöse Praktiken „finden“ oder „erleben“. Aber dass sie selbst aktiv werden, dass sie befreien, dass sie wegführen, das ist schon ziemlich einmalig. Möge man diese Gottesvorstellung gerne mit anderen Religionen vergleichen. Man wird wohl nichts Vergleichbares finden, oder?

Doch.Ein paar Seiten weiter in der Bibel. Deswegen sind Juden und Christen auch miteinander „verwandt“.Nicht der Sohn fragt seinenVater, sondern der Vater schickt seinen Sohn, damit man den fragt. Und der hilft. Den Armen und Schwachen und Kranken und Beladenen. „Die Gesunden brauchen den Arzt nicht.“ „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!“ Wenn das mal nicht derselbe Gott ist, der hinter diesem Jesus steckt!
An diesen Jesus glaube ich gern … .


(Anm.: Diese Andacht wurde geschrieben im Mai 2008 nach der BUKO – Bundeskonferenz- des BEFG, die das Thema „Wenn dein Kind dich morgen nicht mehr fragt“ hatte. Dabei ging es insbesondere um die Frage, wie die Generationen auch bzgl. des Glaubens wieder neu miteinander ins Gespräch kommen können.)