Die Sache mit den Schafen

 

„Jesus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.“     Aus: Die Bibel, Johannes 10
 

Es stinkt. Und blökt. Schafkot übersät die Straße. Und ich stehe mitten drin in einem Gewusel von mehreren hundert Schafen. Ganz plötzlich kamen sie von rechts über die Strasse. Mitten in der niedersächsischen Kleinstadt Melle.

Mit dem biblischen Bild vom Hirten und seiner Herde kann ich eigentlich nicht so viel anfangen. Das Bild und die Realität von Schafherden gehören nicht in meinen Alltag.

Und: Zu schnell kam und kommt mir der Gedanke, dass „Schafe blöd sind“. Wenn das der Vergleichspunkt der biblischen Geschichte sein soll, dann möchte ich kein Schaf sein. Ich bin dich nicht blöd.

Auch die Worte Jesu aus dem 10.Kapitel im Johannesevangelium sind mir inhaltlich, was das Bild angeht, nicht sehr nah. „Ich bin der gute Hirte.“ Okay, okay, Jesus passt auf mich auf. Oder irgendwie so.

Den oder die Hirten, die ich am vergangenen Sonntag erlebt habe, die waren echt beeindruckend. Der Oberhirte saß auf einem Fahrrad und fuhr in einem ordentlich zackigen Tempo vor seiner Herde her. Hinter der Mega-Herde die Hirtin. Motorisiert auf einem großen Traktor. Sie rief und pfiff vom Traktor runter, um die Herde am hinteren Ende beisammen zu halten. Und: Sie kümmerte sich besonders um ein offensichtlich angeschlagenes einzelnes und langsames Schaf.

Das war schon eindrücklich. Und es roch die ganze Zeit eindrücklich.

Am Sonntagmorgen hatte ich mich vom Drachenfest in Melle auf den Weg zur etwa vier Kilometer entfernten Baptistengemeinde gemacht. Auf dem E-Skate, das ein Sponsor für ewigkite.de zur Verfügung gestellt hat. Das war eine herrliche Fahrt zum Gottesdienst: Ein leise surrender Elektromotor unter dem Skateboard. Felder und Wiesen, sonniger Himmel und sommerliche Eindrücke. Und dann der Gottesdienst. Vertraut freikirchlich.

Um die anderen Mitarbeiter nicht zu lange allein zu lassen, habe ich mich etwas verfrüht aus der Gottesdienst verdrückt.

Ich fuhr gerade um eine Kurve, als sie ankam. Die Herde. Auf der wenig befahrenen – wer ist Sonntagmorgens schon unterwegs? – Ausfallstrasse aus Melle raus.

Ich stand mit dem E-Skate fest. Mitten in einer blökenden und stinkenden Schafherde.

Es muss ein Bild zum Lachen gewesen sein. Ich habe mit einem Grinsen auf dem Gesicht etliche Handy-Bilder von dieser Szenerie gemacht.

Ich habe gewartet. Und den Atem angehalten. Und gegrinst. Und an biblische Bilder vom Hirten und der Herde und von den Schafen gedacht.

Dass Schafe stinken, das steht nicht in der Bibel. Das wussten die Verfasser aber auch (oder sie haben es nicht als Gestank wahrgenommen). Gewusst haben sie aber sicher, dass eine Kot-Schneise zurückbleibt, wenn sich eine Herde schnell bewegt.

Am kommenden Tag habe ich in Johannes 10 nachgelesen.

„Meine Schafe hören meine Stimme!“ Ja, das habe ich erlebt. Die Hirtin auf dem Traktor hat gerufen, gesprochen, gepfiffen. Und die Schafe haben reagiert.

Jesus hat auch gesprochen. Er war ein „Rufer“. Er hatte etwas zu sagen. Jede Menge Gutes und Liebvolles. Höre ich hin? Na klar. Ich bin doch nicht blöd.

Das, was Jesus zu sagen hat, das ist gut und wertvoll. Hilfreich fürs Leben. Ich komme eben nicht unter die Räder, wenn ich mir anhöre, was Jesus zu sagen hat. Der sorgt durch seine Worte und sein „Rufen“ dafür, dass ich auf dem richtigen Weg bin. War schon klasse zu sehen, wie die Schafe auf die Stimme der Traktor-Hirtin gehört haben. Und wie sie sich besonders um ein „lahmes Schaf“ gekümmert hat.

Das Bild vom Hirten und seiner Herde könnte man sicher vielfältig ausschlachten und auslegen. Ich bezweifele aber, dass die biblischen Texte dafür da sind. Was ist der eine Punkt, die wesentlichste Aussage, das, worauf es Jesus in seiner Reden vom Hirten ankommt?

Mir scheint es so, als ob es bei dieser Rede viel mehr um Gott, um Jesus als um die blöden Schafe geht.

„Ich gebe ihnen ewiges Leben.“ „Der Vater und ich sind eins“. „Niemand wird sie aus des Vaters Hand reissen.“ Das sind schon starke Worte. Da wird für mich deutlich, wie gut der Gott ist von dem Jesus redet. Wie gut er es mit den Menschen meint.

Das ist schon eine besondere, schöne und für mich auch Mut machende Nachricht: Nichts und niemand wird mich von Gott trennen können.

Und dann ist da in dieser Rede Jesu, die eigentlich nach Wolle und Schafskot riecht und die geradezu nach romantisierenden Auslegungen zu schreien scheint, dieser schlichte Satz ganz ohne bildhaftes Element: „Mein Vater ist größer als alles!“ Das klingt nach „Mein Papa ist der Größte!“. Und erst ist hier von Jesus wohl auch so gemeint.

Der Gott, von dem Jesus redet, ist größer als alles.

„Selbstverständlich“ werden verständnisvolle Leser der Bibel sagen. Denn wenn Jesus sich mit den Worten „Ich bin“ der gute Hirte vorstellt, dann erinnert er damit an das „Ich bin, der ich bin“ mit dem sich Gott dem Mose am brennenden Dornbusch vorgestellt hat. Und wenn von diesem „Ich-bin-Gott“ die Rede ist, dann ist vielen Lesern klar: Ja, größer geht es wirklich nicht.

Was bleibt für mich von der Hirtenrede und von meinem stinkenden Erlebnis in Melle?

Der Eindruck, die Erinnerung daran, dass Gott größer ist.

Diese Überzeugung könnte ich mit Bildern und Worten ausmalen.

Er ist der Schöpfer, ich bin Geschöpf.
Er ist allumfassend, ich bin begrenzt.
Er ist voller Liebe und Hilfe. Ich bin das nicht.
Er ist der Hirte. Ich bin ein Schaf. Blöd bin ich aber nicht.

Diese Glaubensüberzeugung kann ich auch ohne Bilder zum Ausdruck bringen:

Gott ist größer als alles.

 

 

NACHTRAG: Sollte ich, wie manche andere Pastoren und Pastorinnen sicherlich auch in der Gefahr stehen, mir einzubilden, dass wir die Hirten der Herde sind, so erinnere ich mich an das, was mir nach dem stinkenden Erlebnis widerfuhr:  Ich kam auf dem Eventgelände des Drachenfestes an und sah, dass die beiden Mitarbeiter die Aufblasbare Kirche und die Kirchenhüpfburg bereits aufgebaut hatten. Ein Gottesdienst war vom Veranstalter des Drachenfestes nicht angedacht oder ins Programm aufgenommen worden. Deswegen hatten wir auch keinen geplant. "Carsten, Du hast echt was verpasst! Wir haben Gottesdienst gefeiert!" Um 10 Uhr waren einfach etliche Drachenfestteilnehmer aufgetaucht und hatten gesagt: "Wir wollen jetzt Gottesdienst feiern!" Das habe sie dann auch. Mit tollen spontanen Mitarbeitern und ganz ohne den "Hirten"-Pastor Carsten. Geht doch. Und war vielleicht auch besser so ... .