Hilfe! Das Leben ist so schwer ...
„Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!“ Jeremia 17,14
Ein Ausspruch, der wie ein Hilfeschrei wirkt, weil es so knapp und verdichtet, so kurz und bündig die Verzweiflung eines Menschen in ein paar Worte packt. Die Worte eines Verzweifelten, der seine einzige Chance auf Hilfe allem Anschein nur noch bei Gott sieht.
Allein scheint er sich nicht mehr helfen zu können. Von anderen Menschen erhofft er sich allem Anschein nach auch keine Hilfe mehr.
Es sind die Worte eines einzelnen Verzweifelten. Worte eines Menschen, der die Welt und den Gott, an den er glaubt, schon lange nicht mehr versteht. Der Prophet Jeremia fühlte sich mit seiner Botschaft, die er dem Volk Israel auszurichten hatte, nicht nur missverstanden, nein, er wurde tatsächlich miss- oder gar nicht verstanden.
Sein Auftreten wurde von Spott begleitet, wie man einen Vers nach dem oben zitierten Vers lesen kann: „Wo ist denn des Herrn Wort, lass es doch kommen!“
Menschen aller Zeiten, die an Gott geglaubt haben, mussten und müssen sich noch immer mit Infragestellungen, manchmal auch mit Spott auseinandersetzen. Wenige trifft es wohl so hart und unerbärmlich wie den Propheten Jeremia damals.
Die Frage jedoch, wo „Gottes Wort“ denn ist, wo Gott denn handelt, wo er sich sehen lässt, diese Frage stellt sich von selbst und auch aus dem Munde vieler Menschen aufgrund der scheinbaren Abwesenheit Gottes in so vielen Belangen der Welt.
Manche Menschen und auch manche gottgläubige Menschen werden von den schweren Erlebnissen, die sie durchmachen müssen, geradezu an den Rand des Unerträglichen getrieben. Persönliches Leid, Krankheit, ungelöste Lebensfragen oder (Beziehungs-) Probleme aller Art, die die eigene Seele nicht zur Ruhe und Ausgeglichenheit kommen lassen, führen manchmal dazu, dass Menschen sich von Gott abwenden. „Wie kann Gott, von dem gesagt wird, dass er der Gute ist, so etwas zulassen?“ Persönliches Erleben und die biblische Botschaft vom barmherzigen und helfenden Gott, passen zu oft nicht zusammen.
Jeremia wählt einen anderen Weg als den Weg der Abwendung von Gott. Mit seinem Schmerz, mit seinem Schweren wendet er sich an Gott. Hinwendung statt Abwendung.
Diesen Schritt kann man machen. Augenscheinlich ist es ein unpassender bzw. unlogischer (nicht zum Verstehen der vorhergehenden Situation passender) Schritt.
Jeremia wählt mitten in seinem schweren Erleben den Weg der Hinwendung zu Gott. Er glaubt (noch immer), dass Gott die richtige Adresse für „Heilwerden“ und „Hilfe finden“ ist.
Der Glaube des Jeremia ist ein „dennoch“-, ein „jetzt-erst-recht“, ein „Gott-wird-doch-wohl-Recht-behalten“- Glaube.
Jeremia ist sich seiner Sache nicht sicher.
Selbstsichere gläubige Menschen, die sich ihrer Sache immer sicher sind, die immer mit dem Brustton der Überzeugung auftreten, die sind tatsächlich zu hinterfragen. Wenn sie nicht sowieso ganz automatisch durch persönliche, gesellschaftliche oder weltpolitische Fragen in Frage gestellt werden.
Seiner „Sache“ ist sich Jeremia nicht sicher. Er ist sich aber Gottes und dessen Hilfe sicher. Nicht, dass es nicht auch biblische Zeugnisse von Menschen, die an Gott (ver-)zweifeln, gibt.
Die Gewissheit über, neben und durch allem erleben, die Jeremia allem Anschein nach nicht los wird, ist jedoch die, dass bei Gott Heil und Hilfe zu finden ist. Die Worte, die hier für Heil und Hilfe stehen, sind in einem weiten Horizont zu sehen. Es geht bei diesen Worten nicht einfach um schnelle oberflächliche Erste Hilfe, um die kurzfristige Abwesenheit von Schmerz, Unverstandenem oder persönlichem Leid.
Mit „Heil“ und „Hilfe“ erinnert Jeremia an Grundthemen der Gegenwart Gottes (oder, wie man neutestamentlich formulieren könnte: an Aussagen über das Reich Gottes): Da, wo Gott ist, da ist alles gut. Da ist „Heil“ im umfassenden Sinn. Da geht es Menschen innerlich und äußerlich, jetzt, momentan und auch in alle Zukunft rundum gut. Da sind Menschen gut aufgehoben, weil da der Gute ist. Da können Menschen aufatmen, weil sie die Gegenwart Gottes einatmen.
Vom „Aggregatzustand“ des Reiches Gottes, von Gottes Gegenwart bei den Menschen, können Menschen, und auch die Menschen der Bibel, nur in Bildern sprechen. Das ganze Heil, das ist, weil Gott gegenwärtig ist, ist unvorstellbar und deswegen auch mit Worten nicht auszudrücken.
Von dieser Vision der Gegenwart Gottes, des Heils Gottes, vom Gedanken und von der Idee, dass bei Gott wirklich alles gut ist, lässt Jeremia sich nicht abbringen. Nicht durch Erlebtes. Nicht durch Spott. Durch nichts.
Der Glaube und die Hoffnung auf den heilenden und helfenden Gott sitzt fest.
Die Worte des Propheten Jeremia wurden von Juden und Christen immer wieder aufgenommen. Sie haben sich an die Worte des Jeremia gehängt. Sie haben Gleiches gesagt, gebetet, gehofft und geglaubt.
Tausendfach wurde dieses Gebet im Laufe der Geschichte hörbar. Es wurde verzweifelt geschrien. Es wurde resigniert und stumm gebetet.
Aber es wurde gebetet.
Menschen haben sich nicht von Gott abgewendet.
Beneidenswert, wenn der Glaube an den guten und barmherzigen Gott so tief in einem verankert ist.
Man kann ihn vor allem den Menschen wünschen, die um ihres Glaubens willen nicht nur verspottet, sondern verfolgt und auch gefoltert werden.
Man kann diese Worte für Menschen beten, die selbst nicht mehr beten können.
Man kann sie beten, wenn man keine eigenen Worte mehr findet.
Und gemeinsam mit anderen kann man dann vielleicht auch daran festhalten, dass Hilfe und Heil erfahrbar werden. Persönlich. Gesellschaftlich.
Und für die Welt.
Zitat aus Offenbarung 21: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“