Jahreslosung 2016
Predigt zur Jahreslosung 2016
Gottes Wort ist meines Fußes Leuchte
und ein Licht auf meinem Weg.
Liebe Gemeinde!
Ich habe eine Lieblingsstadt.
Sie liegt im Norden Deutschlands.
Eine große Stadt. Viel Grün. Eine grüne Großstadt.
Regiert von einem roten Bürgermeister.
Blau ist sie auch: Wasser im Herzen der Stadt und - sie hat einen der größten Containerhäfen weltweit. 13 Jahre. Heimatstadt. Heimathafen.
Gut gelebt, gern studiert,
geheiratet, gearbeitet,
geliebt, gelitten und gestritten.
Manchmal habe ich Heimweh nach dieser Stadt. Prägende, herausfordernde Jahre waren das.
Wenn ich dort heute zu Gast bin, suche ich bestimmte Orte auf: Orte, an denen ich Besonderes erlebt habe, Orte, die Eindruck auf mich gemacht haben oder an denen ich Eindrückliches erlebt habe.
Auch für meinem Glaubensleben,
mein Christsein bedeutet diese Stadt sehr viel.
Nun gut, dort, wo ich studiert habe, findet sich heute nur noch der Parkplatz eines Supermarktes.
Die grün-rot-blaue Stadt bedeutet mir sehr viel.
Nach dem Studium wurde ich in dieser Stadt Pastor.
In einer schönen Kirche. So richtig aus Backsteinen. Mit Turm. Eine Baptistenkirche mit Turm.
Riesengroß – für mich zumindest. Prägende Jahre. Geistlich erfüllt, angespannt und auch herausfordernd.
Ein Bild der Christuskirche in Hamburg-Altona hängt bis heute noch neben meinem Schreibtisch.
Beim Schreiben dieser Predigt, habe ich „meine Kirche“ hin und wieder angeschaut.
Bei allem Respekt vor anderen Kirchengebäuden, die Kirche in Hamburg-Altona ruft noch ganz andere Gedanken, Gefühle, Erinnerungen in mir wach.
Orte, Gebäude können Gefühle auslösen.
Erinnerungen wachrufen.
Welche Lieblingsstadt haben Sie? Hast Du?
Welches Lieblingsdorf?
Oder: Welches Gebäude verbinden Sie, verbindest Du zu allererst mit deinem „innerlichen“ Leben?
Mit deinem Glauben?
Wir unterbrechen die Predigt einfach mal.
Wer sagt etwas zu seinem „Lieblingsort“/ „Gebäude“
(kurze Berichtsrunde)?
Der Predigttext für den heutigen Sonntag
ist die Jahreslosung für das Jahr 2016.
In dieser Jahreslosung geht es um
die Lieblingsstadt vieler Menschen.
Bis heute ist diese Stadt für viele, sogar für ganz unterschiedliche Menschen und sogar noch für Menschen ganz unterschiedlichen Glaubens bzw. ganz unterschiedlicher Religionen, die Stadt ihrer Sehnsucht oder die Stadt, die Heimweh auslöst: Jerusalem. Gut informierte Christen haben sie vielleicht schon gehört, die Jahreslosung für 2016:
Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet! Jesaja 66, 13a
Da kommt man nun am ersten Sonntag im Jahr in den Gottesdienst und erwartet eine ordentliche Predigt zum Thema Trost. „Gott spricht: Ich will euch trösten!“
Und was bekommt man? Mehr oder weniger sinnvolle Bemerkungen zum Thema „Lieblingsstadt“, Heimweh und Sehnsucht.
Lesen wir die Jahreslosung noch einmal.
Jesaja 66, 13 a, .... und b gleich dazu.
Gott spricht: a) Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet! b) ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden! Ah, nach a) kommt noch b): „Ihr sollt an Jerusalem getröstet werden.“
Ein Bibelvers der in a) einfach nur nett und einleuchtend klingt und über den man sich einfach nur so freuen kann („Gott will mich, will uns trösten, wie einen seine Mutter tröstet, feine Sache, wie schön!“),
klingt in b) dann irgendwie doch anders.
„Ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden!“
Der Trost hat es, zumindest hat es auch, mit einer Stadt zu tun. Mit Jerusalem.
Das ist ja was mit der Jahreslosung! Eher eine Jerusalemlosung. Wenn man einen halben Satz weiter liest. Jahreslosung, Losung für Jerusalem? Oder Lösung für Jerusalem?
Mit Jahreslosungen ist das so eine Sache.
Manchmal werden sie als eine Art
christlicher Glückskeks für ein ganzes Jahr missverstanden. „Mal schauen, was da so aus der Lostrommel gezogen wird. Das ziehen wir uns dann ein ganzes Jahr lang an!“
Allein schon das Wort Jahres-Losung ist irreführend, wenn man dabei an eine Lostrommel und nicht an ein „Jahresmotto“ oder einen Jahresvers denkt.
Das Bibelwort wird nicht gelost.
Bei Wikipedia kann man lesen:
„Die Jahreslosungen werden seit 1930 veröffentlicht. Die erste Jahreslosung war von dem schwäbischen Pfarrer Otto Riethmüller ausgewählt worden. Seit 1970 werden Jahreslosung, Monatssprüche und Bibellesepläne drei Jahre im Voraus von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) herausgegeben.
Die Vorschläge für die Jahreslosung kommen aus den 24 Mitgliedsverbänden der ÖAB. Jeder Verband entnimmt dem aktuellen ökumenischen Bibelleseplan zwei geeignete Bibelverse, die in vier Arbeitsgruppen diskutiert werden. Am Ende dieser Beratung steht eine Einigung auf zwei Verse, die zur Abstimmung vorgelegt werden. Jahreslosung wird schließlich derjenige der beiden Verse, der die absolute Mehrheit der Stimmen erhält.“
Jesaja 66, 13 a hatte vor drei Jahren die absolute Mehrheit der Stimmen.
Und so ist Jesaja 66 ohne 13 b zu unserer Jahreslosung 2016 geworden.
Es ist wichtig, auf Vers 13 b hinzuweisen.
Nicht etwa, weil man ein Jerusalemfan ist.
Wenn man Bibelverse als Motto, als Losung für sich persönlich oder sogar für eine ganze Gemeinde als Begleitvers für ein ganzes Jahr gelten lassen möchte, dann tut es Not, die Bibel aufzuschlagen, um nachzusehen, worum es denn da geht in diesem Vers.
Es könnte sonst – zum Beispiel mit Jesaja 66 Vers 13 a – zu einer heilsindividualistischen Verkürzung biblischer Aussagen kommen.
„Gott tröstet mich, uns, euch, alle irgendwie!“
Ach, das ist ja nett. So schön kuschelig.
Das machen wir manchmal mit Bibelworten. Wir kuscheln sie zu allererst auf uns zurecht.
Das können, ja sollen und dürfen wir auch. Manchmal. Nicht immer.
Vorsicht, wenn Bibelworte nur oder fast ausschließlich dazu benutzt werden, unsere geistliche Temperatur oder unsere persönliche Wohlfühlatmosphäre zu gewährleisten oder zu festigen. „Wie einen seine Mutter tröstet!“ Ach, das ist ja noch schöner. Für mich. Fast noch kuscheliger. Mütter können ja so wunderbar trösten. Ja, Väter auch. Aber Mütter eben mütterlich und nicht väterlich.
„Ach, wenn ich ich ich ich doch so getröstet ins neue Jahr gehen könnte.... .“
Liebe Gemeinde!
Vers 13 b weist uns darauf hin, dass es bei diesem Bibelvers um mehr geht als um mein, als um unser persönliches Seelenheil oder Lebensglück.
„Jerusalem“ ist so etwas wie eine Chiffre, ein Codewort.
Immer wieder taucht diese Stadt im Buch Jesaja, im Glauben und Denken des Volkes Israel auf.
Die Israeliten hatten eine Katastrophe nach der anderen erlebt. Zerstörung. Krieg.
Zwei Verschleppungen.
Da saßen sie dann „An den Flüssen von Babylon“.
Wer bis 1978 den 137.Psalm nicht kannte, dem gab die deutsche Gruppe Boney M. Nachhilfe in Bibelkunde. Zitat Boney M.:
„An den Flüssen von Babylon da ließen wir uns nieder, ja, wir weinten, als wir an Jerusalem dachten. Als die Bösen uns in Gefangenschaft brachten.“
Weiter zitiert nach Psalm 137:
„Die uns gefangen hielten, befahlen uns, in unserem Heulen fröhlich zu sein: „Singt uns ein Lied von Jerusalem!“
Aber wie können wir des Herrn Lied singen in einem fremden Land?
Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein!“
Jerusalem war weit weg.
Unerreichbar.
Und zerstört.
Der Tempel als Wohnung Gottes war weit weg. Unerreichbar.
Und zerstört.
Hamburg, die Christuskirche sind mir doch nicht wichtig, weil die Stadt so grün ist oder rot regiert wird oder blauen Wasserflächen hat.
Die Christuskirche doch nicht wegen des tollen Turms. Die Orte an sich, die wir vorhin genannt haben, die sind es doch nicht.
Es sind die Erlebnisse.
Die Gottesbegegnungen, die sich damit verbinden.
Welch ein Schmerz für das Volk Israel!
Der Lieblingsort, ja, der Ort der Begegnung mit Gott, der Ort, an dem man sich erinnern konnte:
Hier, ja hier ist uns Gott begegnet, hier hat er uns angesprochen, zugesprochen, aufgemuntert, erbaut, hier haben wir seine Gegenwart geradezu gespürt, gehört, gefühlt.
Dieser Ort in unerreichbarer Ferne.
Dazu noch zerstört.
Traurigkeit. Trübsinn. Trübsal.
Trostworte.
Der Prophet Jesaja spricht in diese Situation. Trostworte.
Das Buch Jesaja besteht aus 66 Kapiteln.
Man kann das Buch in drei „Unterbücher“ einteilen.
Das zweite Buch – von Kapitel 40 bis 55 – das wird als das „Trostbuch“ der Bibel bezeichnet. Es beginnt mit den Worten:
„Tröstet, tröstet, mein Volk!, spricht euer Gott!“
Und weiter, Achtung: „Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat!“
Gott spricht seinem Volk, seinen Menschen Trost zu.
Den Propheten Jesaja hat er in besonderer Weise für diesen Zweck losgeschickt.
Jesaja ist dabei ganz konkret:
Im Namen Gottes verspricht er den Israeliten,
dass sie nach Jerusalem zurückkehren werden.
Der Perserkönig Kyros wird dafür sorgen.
Und auch Jerusalem und selbst der Tempel sollen wieder aufgebaut werden.
Und Jesaja weitet den Horizont: Mit seinen Liedern über den Knecht Gottes weist er auf das große Ziel Gottes für die ganze Menschheit hin.
„Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion/ Jerusalem: Dein Gott ist König!“ (52,7)
Jesaja macht deutlich: Gott denkt nicht nur an Jerusalem. Gott denkt immer weiter. Weiter als menschliche Heimat- und Heimwehgefühle.
Friede, Heil, Wohlergehen soll allen Menschen gelten: (Kapitel 52,15) „Denn denen nichts davon verkündet wurde, die werden es nun sehen, und die nichts davon gemerkt haben, die werden es merken!“ Gegen Ende des Jesajabuches kommt das Konkrete und das für alle Welt Verheißene zusammen.
In Jesaja 65,17, also kurz vor unserer „Jahreslosung“, kommt Gott sein neues „Welt-Konzept“ aus dem Herzen über die Lippen:
„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Freut euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe!“
Es geht um Gottes Frieden, um Gottes Schalom für seine Welt.
Ganz konkret wird beschrieben: „Man soll nicht mehr hören die Stimme des Weinens..., es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben ....!“ Und und und ... .
Und hier haben dann die Worte der Jahreslosung 2016, Vers 13 a, ihren Platz.
In diesem Zusammenhang ist vom „Trösten“ zu reden: Im Miteinander der Menschen. Im täglichen Leben. Mitten in Jerusalem. In Hamburg. In Esens. An den Orten, an denen wir leben.
Gott tröstet auch dort.
Noch heute.
Darum geht es.
Und er tröstet nicht nur mich.
Er möchte meine Nachbarn, Arbeitskollegen, Freunde, ja, sogar die, die mich nerven, trösten.
Ganz konkret ihr „Jerusalem“, ihre zerstörten Städte, Hoffnungen, Lebensentwürfe, wieder aufbauen, zurechtbringen.
Gottes Trost – das ist sein erklärter Wille – soll die erreichen, die auch heute noch „at the rivers of babylon“ oder an anderen Flüssen und Zäunen sitzen und sich nach Heimat sehnen.
Viele viele Menschen brauchen die Erfahrung, dass Menschen zu ihnen kommen, dass sie sagen können: „Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten!“
Unsere Nachbarn, unsere Arbeitskollegen, die Flüchtlinge in Esens, die Kinder, die Alleinstehenden, sie brauchen Gottes Trost.
Den bekommen sie. Ganz konkret. Durch uns.
Väterlich. Mütterlich. Jugendlich. Älterlich .... .
Ja, wir selbst werden auch von Gott getröstet. Ganz innig. Mütterlich. Wenn wir vielleicht verzagt ins neue Jahr blicken, wenn wir selbst Sorgen und Nöte haben, die wir mit ins neue Jahr genommen haben.
Aber es kann und darf nicht sein, dass wir die Jahreslosung 2016 nur für uns allein in Anspruch nehmen.
Der Vers 13 b), Jerusalem und auch die Stadt, in der sie wohnen, gehört dazu.
Eines noch zum Schluss:
Das sog. Alte und das sog. Neue Testament passen wirklich ganz trefflich zueinander.
Der Heilige Geist wird uns als „Tröster bis in Ewigkeit“ (Johannes 14, 16) vorgestellt.
Im 2.Korintherbrief (1,2+3) wird Gott als der „Gott allen Trostes“ bezeichnet.
Seinen Sohn Jesus hat Gott zum Trost gesandt.
Es kann kein Zufall sein, dass Jesus in seiner ersten Predigt, nachzulesen in Lukas 4, aus „unserem“ Losungs-Lösungs-Jesaja-Kapitel-66 vorliest, er „fand die Stelle“, heißt es da:
„Der Geist des Herrn ist auf mir (...) den Armen frohe Botschaft zu verkünden, die zu verbinden, die ein zerbrochenes Herz haben, auszurufen den Gefangenen die Befreiung und den Gebundenen die Lösung ihrer Fesseln, auszurufen ein Jahr des Wohlgefallens für den Herrn!“
Also: Lasst uns getrost ins neue Jahr gehen.
Andere trösten. Im Namen Gottes.
Man könnte es ausrufen,
das Jahr des Trostes 2016.
Das würde dem Herrn wohl ... gefallen!
Amen