König ohne Krone
Ein König ohne Krone
Du, Tochter Zion, freue dich sehr,
und du, Tochter Jerusalem, jauchze!
Siehe, dein König kommt zu dir,
ein Gerechter und ein Helfer,
arm und reitet auf einem Esel.
Sacharja 9,9
Auch in diesem Jahr weihnachtet es wieder sehr. Und jetzt ist Heiligabend. Die Radiosender wünschen Frohes Fest, die Fernsehsender spielen einen Film nach dem anderen, die Festtafeln ächzen unter der Last der Kalorien und ausnahmsweise sind auch mal die Kirchen einigermaßen oder sogar bis zum Bersten gefüllt (und gleichen damit dann dem durchschnittlich deutschen Magen). Und auf ewigkite.de erscheint ein Artikel zum thema Weihnacht ... .
Und wieder werden alte oder noch ältere Bibeltexte gelesen und mehr oder weniger aufmerksam gehört. Texte, die das Besondere von Weihnachten verdeutlichen sollen und doch so oft in den vielen anderen Worten, die diese Tage gemacht werden, untergehen. Und wieder bemühen sich Pastorinnen undPastoren mit ihren eigenen Worten die Worte der Bibel zu erklären, zu verdeutlichen, zu interpretieren.Auch hier ein Versuch, das Besondere an Weihnachten zu interpretieren, zu verstehen.
Angekündigt, erhofft, herbeigesehnt war er schon lange. Manche haben sogar inständig gebetet. Und ihr Bestes getan, damit er endlich kommt. Der Helfer, der, der alles wendet und auch manches beendet. Manche, wenn nicht sogar die meisten, haben sich schon immer einen starken König herbeigesehnt. Einer, der weiß, was er tut, einer, der mit seiner Macht reinhaut, wo es reinzuhauen gilt, einer, der anders ist als andere Könige und seine königliche Macht für die Bedürfnisse der Armen und Schwachen, der Kranken und Benachteiligten einsetzt. Ein König mit Macht für die, die ohnmächtig oder machtlos sind. Damit sich die Zustände endlich ändern.
Von Königen spricht heute keiner mehr. Zumindest nicht in unseren Breitengraden. Und wer will schon gerne in einer Monarchie leben? Die Sehnsucht nach Politikern, die alles anders machen, die ganz anders handeln und die bisherigen Vorstellungen von Politik in Frage stellen, die lebt aber auch heute noch.
Die kleinen und großen Obamas werden voller Hoffnung erwartet und begrüßt.
Würde er heute angekündigt werden, der so ganz andere Gott, der zur Erde kommt, so würde er vermutlich als neuer UNO-Generalsekretär deklariert werden. Oder als der Mann, der das Internet zentral nutzt, um alle Menschen davon zu überzeugen, dass er wirklich derjenige ist, der im Auftrag Gottes unterwegs ist.
Erwartet wurde damals – wie auch heute noch – wenn man von einem Gott redet und hofft, der zu den Menschen kommt, einer, der endlich das Zepter in die Hand nimmt und aufräumt. Entweder mittels der Strukturen der UNO oder z.B. über das Internet. Übers Internet hätte er ja zumindest Zugriff auf die zentralen Geldströme und Märkte dieser Welt. Er könnte hier und dort eine Zahlenfolge, einen Code, eine Nummernabfolge eingeben und somit dafür sorgen, dass die Weltmärkte ganz anders funktionieren als bisher. Ein „Programmierer“ für eine bessere Welt. Ja, „Könige“ stellt man sich auch in moderner Form als Herrscher vor.Könige setzen ihre Macht ein, um ihre Anliegen durchzusetzen.
Der „König“, der „UNO-Generalsekretär“, der „Internetherrscher“, den die Bibel im Blick hat, ist aber ein König ohne Krone, ein UNO-Generalsekretär ohne Weisungsbefugnis, ein Programmierer ohne Zugriff auf gesperrte Konten oder Server. Der König, den die Bibel ankündigt, der setzt sich nicht einfach über seine Untertanen hinweg. Er knackt nicht einfach ihre Lebenseinstellungen, Internetkonten oder politischen Systeme, er schmeißt mit seiner Macht nicht einfach alles über den Haufen, sondern fängt durch Überzeugungsarbeit ganz klein an.
Babyhaft, kindisch, lächerlich finden das die Meisten. Nur wenige haben den Blick dafür, dass in dem ganz kleinen Anfang eine „revolutionäre Zelle“ ihr Wirken beginnt, die einem Senfkorn (dem kleinsten aller zur Zeit Jesu bekannten Körner) gleicht, das irgendwann zu einer großen weiten Staude wird, in deren Zweigen viele Vögel Platz finden werden.
Ein König ohne Krone. Bei Wikipedia kann man nachlesen, dass „eine Krone (lateinisch corona - der Kranz, griechisch κορώνα - Kranz, Krone) eine kostbare, meist aus Gold und Edelsteinen gearbeitete Kopfzierde ist“, die „vorwiegend christlich-abendländische Herrscher, als Ausdruck ihrer Macht und Würde sowie als Symbol ihrer Herrschaft über ein bestimmtes Volk oder ein Territorium“ trugen. „Das Tragen von Kronen kam im alten Orient in Gebrauch. Bereits im alten Ägypten und im antiken Griechenland trugen Herrscher einen Stirnreif oder ein Diadem. Die Perserkönige gehörten zu den ersten, die eine geschlossene Krone, eine Tiara, trugen. Diese Form wurde später von den byzantinischen Kaisern übernommen sowie von den Päpsten, die eine dreifache Krone trugen.“
Der Gott, der vor ein paar Jahrhunderten in Jesus zur Welt kam trug keine Krone. Er entschied sich für Windeln. Und er entschied sich nicht einmal selbst für Windeln. Dermaßen machtlos kam er zur Welt, dass er sich zunächst einmal von seiner Mutter (es ist anzunehmen, dass der Vater noch weniger emanzipiert war als Väter unserer Tage) die Insignien seiner ganz anderen Herrschaft umlegen lassen musste: Windeln statt Krone.
Seltsam, dassMenschen in seiner Nachfolge, wie Wikipedia das lehrt, die Windeln so einfach gegen Kronen eintauschten. Und wenn schon Kronen, dann hätte es eine Krone sein müssen, die Jesus dann später auch aufgesetzt bekam. Wieder eine Krone, die er sich nicht selber aufs Haupt legte, sondern die er in seiner Ohnmacht aufgesetzt bekam: Eine Dornenkrone. Wenn christliche Herrschern (welch ein missverständliches Wort für Nachfolger Jesu!) eine Krone tragen, dann sollte diese entweder an Windeln oder an eine Dornenkrone erinnern!
Der König, der vor 2000 Jahren ohne Krone zur Welt kam, der machte klein und demütig weiter, nachdem er als fast ganz normales Kind aufgewachsen war und dann mit ca. 30 Jahren öffentlich auftrat. Manches mal haben seine Nachfolger von ihm erhofft, erbeten, alles getan, dass er mit Kraft und Macht, mit Zeichen und Wundern, mit Blitzen und Gewitter, mit starkem Arm „reinschlägt“ und dem Treiben der widergöttlichen Mächte mit einem Wimpernschlag ein Ende setzt. Ein leichtes wäre es für ihn gewesen. Jeglicher gewaltvollen innerlichen oder äußerlichen Macht ging Jesus aber tunlichst aus dem Weg.
Hätte er das nicht getan, so hätte er genau dem Bild von Gott entsprochen, das in so vielen Köpfen von frommen oder ungläubigen Menschen umher spukt: Was Gott will, das setzt er ohne Rücksicht auf Verluste, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes auf „Teufel komm raus“ durch. Aber so ist Gott nicht. Oder nicht mehr. In Jesus hat Gott sich für den untersten Weg entschieden. Für den Weg, der die Menschen ernst nimmt. Der König ohne Krone kommt nicht und handelt nicht von oben herab, er behandelt die Menschen nicht als seine Untertanen, die ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. In Jesus Christus begegnet Gott den Menschen als das, als was er sie erschaffen hat: als seinen Ebenbildern, seinen Abbildern, die Würde und Eigenverantwortung, die Auftrag und Berufung zum eigenständigen Handeln haben. Ein König mit Krone behandelt seine Untertanen nicht ebenbürtig.
Das passt nicht zum Bild eines Königs. Ein König ohne Krone ist einer, der rein äußerlich nicht von seinen Untertanen zu unterscheiden ist. Ja, die Menschen sind sogar nicht einmal mehr Untertanen zu nennen. Jesus selbst nennt sie Brüder und Schwestern. Dass Gott in Jesus Christus „einer von uns“ wird, dass er ganz Mensch wird, dass er sämtliche Insignien göttlicher Macht nicht nur ablegt, sondern sie auch nicht mehr zum Einsatz bringt, das hat Menschen aller Zeiten verwundert, ungläubig gemacht, über den Gott, den Jesus vorstellen wollten, lächeln lassen.
Das kann doch nicht sein. Ein König ohne Krone. Ein Gott ohne göttliche Macht.
Vermutlich ist deswegen Weihnachten an vielen Stellen auch ein so seltsames Fest geworden. Wie hätte es auch anders sein können? Die Menschwerdung Gottes, die so ganz ohne Krone, ohne Glitzern und Strahlen, ohne Großes und Auffälliges in einem Stall stattfand, die muss einfach mit goldenem Verpackungspapier, mit königlichem Kerzenschein, mit megagroßen Geschenken und Kalorienbomben aller Art „angestrahlt“ werden.
Aus Stall und Stroh, aus Windeln und Babygeschrei werden wir doch mit Energiesparlampen, glitzerndem Lametta und königlichem Essen doch noch irgendetwas Großartiges, Göttliches, Königlichesmachen können. Wenn Gott uns schon die Krone nimmt, dann machen wir wenigstens ein kleines Hofschauspiel aus Weihnachten. Verübeln kann ich das niemandem. Auch mir selbst nicht. Es passt doch auch einfach nicht in unsere und meinen Kopf, dass Jesus ein König ohne Krone ist … .
Das hält doch keiner aus. Das kann doch keiner glauben. Das soll euer Gott sein? Der ist weder so prickelnd wie neureligiöse Bewegungen, noch so transzendierend wie alte orientalische Religionen. Da ist nicht einmal was Mystisches oder Mythisches, was Menschen des 21.jahrhunderts so sehr an anderen Religionen fasziniert und sie zu mehr oder weniger ernsthaften religiös gestimmten Menschen werden lässt.
Auf die wenig königliche Krippe von Golgatha fällt der Schatten desKreuzes von Golgatha. Auch das noch! Dieses Symbol des Leidens, des Blutes. Dieses Symbol, das in seiner Wirkungsgeschichte so viel Leid über kreuzzuggeschändete Menschen gebracht hat. Kreuz statt Krone.Dass das für viele Menschen keine Alternative ist, das verstehe ich. Es passt einfach nicht in unsere Welt. Das Kreuz, an dem ein Gott gestorben sein soll, der ein paar Jahre zuvor als Baby auf die Welt gekommen ist. Wer kann, wer soll das verstehen?
Es wundert mich nicht, dass es die Botschaft des christlichen Glaubens in unserer Zeit und in allen bisher dagewesenen Zeiten schwer hatte und schwer hat. Wer will, wer kann das verstehen? Ein Gott, der in der Krippe anfängt und am Kreuz endet? Ja, natürlich, man kann auf die Auferstehung verweisen und dann wieder von Macht und Herrlichkeit, von „Power“ und „Weltherrschaft“ reden. Sosehr die Auferstehung unverzichtbare Glaubensaussage aller Christen ist, so bleibt doch bis zur machtvollen Widerkehr Jesu Christi alles Christsein ein Christsein in der Nachfolge des Königs ohne Krone und Kreuzesnachfolge.
Warum ich diesem König, diesem „Kreuzeschristus“ weiter nachfolge?
Warum mir Weihnachten nach wie vor wichtig ist?
Weil ich nicht lassen kann von dem Gott, der sich in Jesus Christus auch zu mir heruntergebeugt hat. Weil ich einfach nicht anders kann, als zu versuchen so zu sein, wie er war: ganz normal, ganz menschlich und zugleich doch immer das Reich Gottes voller Gerechtigkeit und Liebe zu allen Menschen im Blick zu haben.
Weil ich nach wie vor begeistert bin von dem menschennahen, menschenfreundlichen Ansatz Gottes, der an Weihnachten begonnen hat und am Kreuz endete. Ein Ansatz, der den Menschen ernst nimmt, der ihn nicht verurteilt, nicht über den Tisch zieht, ihn nicht einfach als Marionette oder als Objekt göttlicher Macht missbraucht.
Deswegen macht mich Weihnachten auch froh. Ich bin kein Untertan, mit dem Gott macht, was er will. Ich bin sein Ebenbild. Sein Gegenüber. Frohe Weihnachten!