Was wollte Luther eigentlich?
Was wollte Luther eigentlich?
„Der wahre Schatz der Kirche ist das hochheilige Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes“ – also nicht die Verdienste der Heiligen, nicht der Ablass, nicht die guten Werke, nicht die Reliquien, nicht die Tradition und Besitztümer der Kirche, nicht die geweihten Kleriker als Heilsvermittler!
Diese angeblichen ‚Schätze’ täuschen die Menschen, sie schaffen falsche Abhängigkeiten und dienen nur dem Machtstreben der Kirche.
Dieser Satz gehört als 62. These zu den 95 Thesen, mit deren Veröffentlichung am 31. Oktober 1517 Luther nach akademischem Brauch zu einer theologischen Disputation über das rechte Verständnis der Buße, über den Nutzen der Ablässe und den Sinn der kirchlichen Bußpraxis einladen wollte.
Luther selber spricht von einem „Disputationsplakat“.
Der Ablasshandel, u.a. zugunsten der Finanzierung des Petersdom in Rom, hatte gerade eine höchst fragwürdige „Konjunktur“ erlebt. Luther war fest davon überzeugt, bei seiner theologischen Kritik den Papst als „Schutzpatron“ auf seiner Seite zu haben, „auf dessen Vertrauenswürdigkeit ich mich damals noch völlig verließ...“
Die unerhört schnelle und weite Verbreitung der Thesen inkl. ihrer deutschen Übersetzung überraschte den Autor nicht wenig. Was als theologischer Disput unter Studenten und Dozenten der Universität gedacht war, wurde ungeahnt zum Signal einer sich unaufhaltsam ausweitenden Bewegung, die alle Stände und Schichten der Gesellschaft auch über die Grenzen der deutschen Fürstentümer hinaus erfasste.
Nicht zu Unrecht gilt der 31. Oktober 1517 bis heute als Gedenktag der Reformation.
Hier wird auch deutlich, dass der Auslöser der Reformation ein biblisch-theologischer Impuls, die Entdeckung und Betonung der Einzigartigkeit des Evangeliums war. Das sollte auch ihr charakteristisches Merkmal bleiben.
Kritiker der Kirche, ihres anstößigen Erscheinungsbildes, ihrer finanziellen Forderungen und der kritikwürdigen Praxis der Kleriker gab es seit Jahrzehnten. Die „Beschwerden“ (Gravamina) sind seit 1456 öffentlich vorgetragen und wiederholt modifiziert worden.
Eine Erneuerung der Kirche „an Haupt und Gliedern“ ist schon von den „Vorreformatoren“ (u.a. von John Wyclif und Jan Hus) angemahnt und verstärkt durch den Geist des Humanismus erhoben worden.
Mit Martin Luther meldete sich jetzt aber eine Stimme zu Wort, die nicht nur die äußeren Missstände in der Praxis der Kirche kritisierte, sondern die von innen her, vom Kern und Wesen des Evangeliums her zu Korrektur und Erneuerung aufforderte.
Aufgrund seines intensiven Schriftstudiums, das durch seinen Lehrauftrag als Ausleger der biblischen Schriften verstärkt wurde, gewann Luther die entscheidenden Anstöße und maßgeblichen Kriterien für seine herausfordernden Einsichten und Positionen. Dabei hatte er zunächst die Hoffnung, seine Kirche für die gebotene Erneuerung gewinnen zu können.
Mit der Betonung „sola scriptura“ – allein die Heilige Schrift ist der verbindliche Maßstab - aber zog Luther die massive Kritik und den leidenschaftlichen Widerspruch seiner Kirche auf sich. Weil er unter Berufung auf sein an die Heilige Schrift gebundenes Gewissen nicht widerrufen wollte, musste er erleben, dass er als „treuer Sohn seiner Kirche“ schließlich als Irrlehrer verurteilt und ausgestoßen wurde.
Wurde in der Theologie bis dato die Heilige Schrift vorrangig unter dem Blickwinkel der Auslegungen der Väter, ihrer Sentenzen (=Meinungen) und Kommentare gelesen und in der Diskussion mit ihnen ausgelegt, die Schrift also durch die Tradition gefesselt und begrenzt, betonte Luther die Alleingültigkeit der Heiligen Schrift, die für sich spricht und in sich klar und eindeutig ist:
„Wenn euch jemand antastet und sagt: Man muss der Väter Auslegung haben, die Schrift ist dunkel, sollt ihr antworten: Das ist nicht wahr. Es ist auf Erden kein klareres Buch geschrieben als die heilige Schrift; sie ist gegenüber andern Büchern wie die Sonne im Vergleich mit jedem andern Licht. Sie reden so nur deshalb, damit sie uns von der Schrift wegführen und sich selbst zu Meistern über uns erheben... Es gibt nichts Helleres als die Sonne, d.h. die Schrift... Ist also ein dunkler Punkt in der Schrift, so zweifelt nur nicht, es ist gewiss dieselbe Wahrheit dahinter, die am andern Ort klar ist...“
Die Heilige Schrift legt sich selber aus – bis heute gilt dieses reformatorische Bekenntnis für jeden Bibelleser und –ausleger!
„Sind die Worte an der einen Stelle dunkel, so sind sie an der anderen dafür klar.“ (1525)
Das setzt voraus, dass der biblische Text in seiner historischen Gestalt und Bedeutung zu beachten ist und nicht als Sprungbrett für eigenmächtige und willkürliche Höhenflüge der Auslegungskunst missbraucht werden darf. Daher rührt das Bemühen um die biblischen Sprachen, um die zuverlässige Gestalt der Texte wie um eine verantwortliche und verständliche Übersetzung der Bibel.
Die Frage nach der „äußeren Klarheit“ der Schrift ist entschieden: „Was könnte in der Schrift noch verborgen bleiben, nachdem die Siegel erbrochen, der Stein vom Tor des Grabes gewälzt und das höchste Geheimnis verkündet ist: Christus Gottes Sohn sei Mensch geworden, Gott sei dreifach und einer, und Christus habe für uns gelitten und herrsche in Ewigkeit? ... Tu Christus aus der Schrift hinaus – was ist dort dann noch zu finden?“ (1525)
Neben dem „allein die Schrift“ leuchtet hier die alles entscheidende Erkenntnis auf: „Christus allein“ (solus Christus)! Mit dieser Konzentration auf Jesus Christus begründet Luther sein Schriftver-ständnis wie überhaupt seine gesamte Theologie in allen ihren Auswirkungen auf Lehre und Leben der Kirche. (Dass dazu auch falsche Urteile und fehlerhafte Verkürzungen gehören, steht außer Frage.)
In seiner eigenen Glaubensgeschichte hat der Blick auf den gekreuzigten Jesus Christus den leidenschaftlich um sein Heil bemühten Mönch Luther überhaupt erst zum „Durchbruch“, zur Gewissheit des Glaubens geführt.
Das vollgültige Opfer des Sohnes Gottes, die Sühne aller Schuld der Menschen, die Gott angenommen und in der Auferweckung Jesu bestätigt hat, enthebt uns Menschen aller Bemühungen, durch Askese, Selbstkasteiungen, gute Werke oder sonstige Opfer Sühne vor Gott, Genugtuung, Gnade zu erlangen.
Diese einzigartige Befreiung und Entlastung bestimmt Luther fortan, sie inspiriert ihn in seiner theologischen Arbeit, sie hält ihn in den Phasen der Anfechtung.
„Allein aus Gnade“ (sola gratia) werden wir von Gott zum Heil erwählt, um Jesu willen gerecht gesprochen und zu seinen Kindern gemacht.
„Allein durch den Glauben“ (sola fide) empfangen wir diese kostbare Gabe, leben wir, was wir in den Augen Gottes sind, werden wir unseres Heils gewiss.
Das aber erfahren wir allein durch den Heiligen Geist, der die „innere Klarheit“ der Schrift bestätigt: „Niemand kann Gott noch Gottes Wort recht verstehen, er habe es denn unmittelbar von dem heiligen Geist. Niemand kann’s aber von dem heiligen Geist haben, er erfahre es, versuche es und empfinde es denn. Und in dieser Erfahrung lehrt der heilige Geist als in seiner eigenen Schule...“(1521)
Darin liegt die Freude über die Entdeckung des Evangeliums, das ist reformatorisches Bekenntnis.
Edwin Brandt
Dieser Artikel erschien im Internet ursprünglich auf www.reformationsschild.de. ewigkite.de dankt www.reformationsschild.de und E.Brandt ganz herzlich für die Erlaubnis diesen Artikel, der erstmal 2010 in einer Zeitschrift erschien, zu veröffentlichen.