Heil und Hilfe. Jeremia 17,14

 

„Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!“
Jeremia 17,14


Der „Wochenspruch“ für die Woche vom 30.10.- 5.11.2011 wird den Lesern der Bibel im 17.Kapitel des Buches Jeremia überliefert.
Ein Ausspruch, der wie ein Hilfeschrei wirkt, weil es so knapp und verdichtet, so kurz und bündig die Verzweiflung eines Menschen in ein paar Worte packt. Die Worte eines Verzweifelten, der seine einzige Chance auf Hilfe allem Anschein nur noch bei Gott sieht.

Allein scheint er sich nicht mehr helfen zu können. Von anderen Menschen erhofft er sich allem Anschein nach auch keine Hilfe mehr.
Es sind die Worte eines einzelnen Verzweifelten. Worte eines Menschen, der die Welt und den Gott, an den er glaubt, schon lange nicht mehr versteht. Der Prophet Jeremia fühlte sich mit deiner Botschaft, die er dem Volk Israel auszurichten hatte, nicht nur missverstanden, nein, er wurde tatsächlich miss- oder gar nicht verstanden.

Sein Auftreten wurde von Spott begleitet, wie man einen Vers nach dem oben zitierten Vers lesen kann: „Wo ist denn des Herrn Wort, lass es doch kommen!“
Menschen aller Zeiten, die an Gott geglaubt haben, mussten und müssen sich noch immer mit Infragestellungen, manchmal auch mit Spott auseinandersetzen. Wenige trifft es wohl so hart und unerbärmlich wie den Propheten Jeremia damals.


Die Frage jedoch, wo „Gottes Wort“ denn ist, wo Gott denn handelt, wo er sich sehen lässt, diese Frage stellt sich von selbst und auch aus dem Munde vieler Menschen aufgrund der scheinbaren Abwesenheit Gottes in so vielen Belangen der Welt.

Manche Menschen und auch manche gottgläubige Menschen werden von den schweren Erlebnissen, die sie durchmachen müssen, geradezu an den Rand des Unerträglichen getrieben. Persönliches Leid, Krankheit, ungelöste Lebensfragen oder (Beziehungs-) Probleme aller Art, die die eigene Seele nicht zur Ruhe und Ausgeglichenheit kommen lassen, führen manchmal dazu, dass Menschen sich von Gott abwenden. „Wie kann Gott, von dem gesagt wird, dass er der Gute ist, so etwas zulassen?“  Persönliches Erleben und die biblische Botschaft vom barmherzigen und helfenden Gott, passen zu oft nicht zusammen.
Jeremia wählt einen anderen Weg als den Weg der Abwendung von Gott. Mit seinem Schmerz, mit seinem Schweren wendet er sich an Gott. Hinwendung statt Abwendung.
Diesen Schritt kann man machen. Augenscheinlich ist es ein unpassender bzw. unlogischer (nicht zum Verstehen der vorhergehenden Situation passender) Schritt.

Jeremia wählt mitten in seinem schweren Erleben den Weg der Hinwendung zu Gott. Er glaubt (noch immer), dass Gott die richtige Adresse für „Heilwerden“ und „Hilfe finden“ ist.
Der Glaube des Jeremia ist ein „dennoch“-, ein „jetzt-erst-recht“, ein „Gott-wird-doch-wohl-Recht-behalten“- Glaube.

Jeremia ist sich seiner Sache nicht sicher.
Selbstsichere gläubige Menschen, die sich ihrer Sache immer sicher sind, die immer mit dem Brustton der Überzeugung auftreten, die sind tatsächlich zu hinterfragen. Wenn sie nicht sowieso ganz automatisch durch persönliche, gesellschaftliche oder weltpolitische Fragen in Frage gestellt werden.
Seiner „Sache“ ist sich Jeremia nicht sicher. Er ist sich aber Gottes und dessen Hilfe sicher. Nicht, dass es nicht auch biblische Zeugnisse von Menschen, die an Gott (ver-)zweifeln, gibt.
Die Gewissheit über, neben und durch allem erleben, die Jeremia allem Anschein nach nicht loswird, ist jedoch die, dass bei Gott Heil und Hilfe zu finden ist. Die Worte, die hier für Heil und Hilfe stehen, sind in einem weiten Horizont zu sehen. Es geht bei diesen Worten nicht einfach um schnelle oberflächliche Erste Hilfe, um die kurzfristige Abwesenheit von Schmerz, Unverstandenem oder persönlichem Leid.

Mit „Heil“ und „Hilfe“ erinnert  Jeremia an Grundthemen der Gegenwart Gottes (oder, wie man neutestamentlich formulieren könnte: an Aussagen über das Reich Gottes): Da, wo Gott ist, da ist alles gut. Da ist „Heil“ im umfassenden Sinn. Da geht es Menschen innerlich und äußerlich, jetzt, momentan und auch in alle Zukunft rundum gut. Da sind Menschen gut aufgehoben, weil da der Gute ist. Da können Menschen aufatmen, weil sie die Gegenwart Gottes einatmen.
Vom „Aggregatzustand“ des Reiches Gottes, von Gottes Gegenwart bei den Menschen, können Menschen, und auch die Menschen der Bibel, nur in Bildern sprechen. Das ganze Heil, das ist, weil Gott gegenwärtig ist,  ist unvorstellbar und deswegen auch mit Worten nicht auszudrücken.

Von dieser Vision der Gegenwart Gottes, des Heils Gottes, vom Gedanken und von der Idee, dass bei Gott wirklich alles gut ist, lässt Jeremia sich nicht abbringen. Nicht durch Erlebtes. Nicht durch Spott. Durch nichts.
Der Glaube und die Hoffnung auf den heilenden und helfenden Gott sitzt fest.

Die Worte des Propheten Jeremia wurden von Juden und Christen immer wieder aufgenommen. Sie haben sich an die Worte des Jeremia gehängt. Sie haben Gleiches gesagt, gebetet, gehofft und geglaubt.


Tausendfach wurde dieses Gebet im Laufe der Geschichte hörbar. Es wurde verzweifelt geschrien. Es wurde resigniert und stumm gebetet.
Aber es wurde gebetet.

Menschen haben sich nicht von Gott abgewendet.

Beneidenswert, wenn der Glaube an den guten und barmherzigen Gott so tief in einem verankert ist.
Man kann ihn vor allem den Menschen wünschen, die um ihres Glaubens willen nicht nur verspottet, sondern verfolgt und auch gefoltert werden.
Man kann diese Worte für Menschen beten, die selbst nicht mehr beten können.

Man kann sie beten, wenn man keine eigenen Worte mehr findet.

Und gemeinsam mit anderen kann man dann vielleicht auch daran festhalten, dass Hilfe und Heil erfahrbar werden. Persönlich. Gesellschaftlich. Und für die Welt.


Zitat aus Offenbarung 21: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“

Pfingsten 2011 - What Great Potential!

What Great Potential!

On every occasion when the people of God gather, with Christ in their midst, what vast possibilities exist! The community is more than an aggregation of individuals with their likes and dislikes, their gifts and hopes and dreams. Of course, there are individuals there and, in the plan of God, each is gifted for particular functions designed for the edification of all. Yet, the body is more than the sum of its parts, and the gathered community holds out hope for something new and powerful to happen, something that can transform all who participate in the moment and so help transform the world they inhabit.

Where two or three are gathered in the name of Christ - where people come together to worship the triune God - there should be a spirit of great expectancy. The reason is this: whatever the extent of our preparation for those occasions, however we assess the beauty and  form of that corporate experience, the one to whom we lift up our hearts, our voices and our minds, the one whose goodness leads us to experience the need to gather for worship, is present with us. And the presence of the Spirit quickens us, giving us fresh insights into the mind of Christ and providing us with new impetus for the exciting mission on which we are sent. We gather with gratitude for divine benevolence and in preparation for our going into the world as agents of God who sends us on mission in the name of Christ.

And this is the reason our gathering holds out such great potential. We come together as God's own people, created by the Father, loved by the Son, and enlightened and empowered by the Spirit. When the Spirit comes things do change. The face of the ground is renewed (Psalm 104:30) and the God, who is wrapped in light as a garment and who rides on the wings of the wind, turning wind and fire and flame into God's messengers (Psalm 104:1-4) surprises us! We receive a new lease on life. With our eyes wide open, we begin to see the world more clearly as the plane on which to work out the divine plan for the salvation of humankind and all creation. Then, we reach out to others across the barriers of language, ethnic identity and culture, and we share the good news that has the capacity to make all things new!

There is a sense in which every assembly for worship by the people of God is an experience of Pentecost. However, the rich gain this experience holds out may be lost in the mist of our unenlightened approach to the gathering and by the violent strength of our limited expectations of the gathering itself.

May our celebration of Pentecost 2011 remind us of the great potential that inheres in every gathering of the people of God for corporate worship. Our encounter with each other in the presence of the triune God gives us reason to say, "I will sing to the Lord as long as I live; I will sing praise to my God while I have being" (Psalm 104:33).

 

Von Neville Callam, Generalsekretär des baptistischen Weltbundes (BWA) Infos zur BWA hier

Kreuz und quer

 

 

Kreuz und quer

 

Die durchkreuzten Lebenspläne,

die schweren Schicksalsschläge,

die mühsam geschleppten Lasten.

Das Brett vor dem Kopf,

der Balken im eigenen Auge,

das harte Holz des Kreuzes.

Die endlosen Sorgen,

das eigene Unvermögen,

die innere Erschöpfung.

Die schlaflose Nacht,

die Plage der Tage,

die Frage: Warum?

Das Krisengebiet im Herzen,

das Schlachtfeld zu Hause,

die peinliche Blamage.

Der Gekreuzigte sieht meine Not,

er trägt mit an all dem Schweren,

er leidet mit mir und den Vielen.

(Autor unbekannt)


an(ge)dacht mit comics

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einfach da sein!


Das Motto von ewigkite.de klingt so schlicht wie einfach und simpel: „Einfach da sein!“.Hinter diesem Motto  verbirgt sich für Leute, die ihr Christsein im Rahmen von Kirchengemeinden leben und sich fragen, wie sie ihre christliche Überzeugung auch außerhalb von Kirchenmauern angemessen leben können, eine Entlastung: Man muss – und soll- außerhalb von Kirchenmauern nicht anders leben als innerhalb von Kirchenmauern. 

Nicht selten neigen Leute in  kirchliche Kreise dazu, ein „Binnenverhalten“ zu entwickeln. In der Kirche oder bei kirchlichen Treffen werden Worte verwendet, die sonst eher selten sind, Lieder gesungen, die es nie in die Charts schaffen würden, Dinge getan, die Leuten, die nicht christlich sozialisiert sind, eher seltsam finden. 


D.h. nicht, dass Christen aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung sich nicht tatsächlich auch mit ganz anderen Inhalten beschäftigen  als Leute, die nicht an Christus glauben. Der Glaube an Jesus Christus ist dermaßen grundlegend und auch lebensverändernd, dass sich tatsächlich vieles ändert, wenn man Christ wird oder als Christ lebt. 

„Einfach da sein“ möchte aber deutlich machen, dass Christsein eine „Existenzform“ ist, die man „einfach“ lebt. Es geht dabei nicht darum, 1000 Regeln zu beachten oder sich um die Einhaltung bestimmter religiöser Riten oder sogar Wertvorstellungen zu handeln. 

Einer der ersten Christen, der zuvor übrigens gar nicht so gut auf Christen zu sprechen war, schreibt einmal an eine Gruppe von Christen „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung/ Kreatur/ ein neuer Mensch“. Ist man also Christ, dann ist das so. Punkt. 

Theologisch gesprochen: Die Gegenwart des Heiligen Geistes lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Wer zu Christus gehört, der gehört dazu. Der ist sozusagen „einfach Christ“.  „Einfach da sein“ macht somit auch deutlich, dass es beim Christsein nicht in erster Linie auf das Verhalten, Denken oder Handeln der Menschen ankommt. Wer jemanden zum Christen macht, das bestimmt Christus selbst.  Anders gesagt: Christus macht mich zum Christen, nicht ich selbst. Allen, die meinen, sich auf ihr Christsein etwas einbilden zu müssen, denen wird  an dieser Stelle ein dicker Zahn gezogen. „Einfach da sein“ wäre für alle Beteiligten wesentlich entspannender als Christen und Christinnen zu erleben, die meinen, wer weiß was auf’s Tablett legen zu müssen, um anderen Leuten etwas vom Glauben zu sagen.

Einerseits ist „einfach da sein“ also eine Ermutigung für Christen, ihr Leben einfach zu leben und sich dabei nicht zu verkrampfen.

Andererseits ist das Motto von ewigkite.de auch schlicht und einfach eine „Einladung“ an Leute, die es mit den Leuten von ewigkite.de zu tun haben: Lebe das Leben, sei einfach da, genieße mit den – hoffentlich netten Leuten, die dir begegnen – jede einzelne Stunde, jeden Tag, den du erlebst.

Leider gibt es nicht wenige Leute, die schlechte Erfahrungen mit Leuten aus der Kirche gemacht haben. Mit Christen. Manche Erlebnisse haben abgeschreckt. Das ist schade. Auch Christen sind nicht „das Gelbe vom Ei“. Eigentlich müssten sie viel besser als andere begriffen haben, dass sie nichts besser sind als andere Leute (vgl. dazu z.B. die wesentliche Rede Jesu in Mt.5-7; „Bergpredigt“).

Auch die Mitarbeiter von ewigkite.de haben ihre Macken und sind nicht die „Helden“. 
Wenn die Mitarbeiter von ewigkite.de aber dazu beitragen, dass andere Leute „einfach da sein“ können, dass sie das Leben genießen und sich dran freuen können, dann ist schon etliches erreicht. Und wenn Leute erleben, dass ewigkiter ganz normale Menschen sind, dass Christen sich weder für etwas besseres halten noch etwas besseres sind, dann ist endlich Schluß mit den (Kirchen-)Mauern, die Menschen voneinander trennen. Dann werden Leute inner- und außerhalb der Kirche erleben, wie schön es ist, „einfach da zu sein“. Oder um es mal wieder mit einem Ausspruch Jesu zu sagen: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ (Joh. 14, 19)


Das Murmelexperiment

Eine Weihnachtsgeschichte


Es war an einem der langen kalten Winterabende in der Adventszeit, als ich gegen Mitternacht noch einen Blick hinaus auf die Straße warf. Sie war von Schaufensterbeleuchtungen und den weihnachtlichen Lichterketten hell erleuchtet. Ich genoss den menschenleeren Anblick der tagsüber stets gut bevölkerten Fußgängerzone und freute mich daran, einmal ohne die Stimmen und das hektische Straßengetrappel den Geräuschen der alten Fachwerkhäuser lauschen zu können.

Ich begann darüber nachzudenken, wie viele Generationen wohl bereits in diesen knarrenden, romantischen Häusern gewohnt haben mochten und wie spannend es wäre, wenn all die schiefen Wände um mich herum von den Geschichten dieser Menschen erzählen könnten. Sollte es sogar irgendeinen Zusammenhang zwischen der asymmetrischen Architektur dieser Häuser und den womöglich zweifelhaften Lebenswandel der zahlreichen Vormieter geben...?

 

Gerade als ich mich abwenden wollte, erblickte ich plötzlich eine seltsame Gestalt an dem Brunnen, der ein paar Schritte von unserem Haus entfernt stand. In dieser eisigkalten Winternacht saß offenbar irgend jemand dort am Brunnenrand und rührte sich nicht. Den Anblick Betrunkener war ich an diesem Platz zuweilen gewöhnt, aber das, was ich dort sah, war irgendwie anders. Obwohl kein Nebel war, konnte ich die Gestalt nur schemenhaft erkennen – noch dazu hatte ich den Eindruck, sie würde ein bisschen leuchten. Es schien mir alles äußerst merkwürdig.


Einen Moment lang zögerte ich, doch dann packte ich meinen alten Trenchcoat und lief die Treppe hinunter auf die Straßezum Brunnen. Es war menschenleer bis auf die Gestalt am Brunnen, die mir ihr Gesicht zuwandte. Auch als ich genau vor ihr stand, ko0nnte ich sie nicht deutlich erkennen. Es war eine menschliche Gestalt, das Gesicht war mir sehr vertraut, ich spürte, dass ich es vor ganz langer Zeit einmal gesehen hatte.


Mit einem sympathischen Lächeln fragte mich mein Gegenüber, ob ich Angst hätte. Ich überlegte einen Moment und verneinte schließlich die Frage.


„Gute“, sagte die Gestalt „ das macht alles viel einfacher.“ Ich schaute etwas fragend und hättenun doch gerne gewusst, wer um alles in der Welt mir gegenüber am Brunnen saß. Schon hörte ich die Antwort: „Du möchtest wissen, wer ich bin? Nun dein Gedanke von vorhin, ich wäre dir bereits bekannt, war schon richtig.“ Gedanken lesen konnte dieses Wesen also auch. Ich wurde ungeduldig.

„Nenn mich wie du willst. Wesen wie ich eines bin, werden von euch Menschen im Allgemeinen als Engel, Schutzengel, Spielgefährten der Kinder, unsichtbare Begleiter usw. bezeichnet. Der Begriff spielt eigentlich keine Rolle.“

Irgendwie hatte ich diese Antwort erwartet. Sie erstaunte mich nicht unbedingt. Einen Moment lang versuchte ich in meinen Kindheitserinnerungen nach einer dieser seltsamen tagtraumartigen Begegnungen zu forschen, die mich als Kind so oft aus dem Alltagsgeschehen gerissen hatten. Aber ich konnte sie nicht erreichen. Anstelle dessen dachte ich an einen Ausspruch meiner Urgroßmutter, die wohl angesichts der sogenannten „Spielgefährten“ kleiner Kinder gesagt haben soll: „ Mit sieben Jahren fallen ihnen dann endgültig die Engelsflügel ab...!“ Ich hatte sie niemals kennen gelernt, aber sie war der ganzen Angelegenheit wohl ziemlich nahe gekommen. Kleine Kinder faszinierten mich nicht zuletzt deshalb, weil ich in ihrer Gegenwart oft das Gefühl hatte, sie wären noch nicht vollständig „losgelassen“ und hätten gut funktionierende Kontakte zu anderen Sphären.

Aber zurück zu diesem Engel hier am Brunnenrand. Ich trat wegen der Kälte von einem Fuß auf den anderen und fragte ihn, was er überhaupt vorhabe.

Daraufhin stand er auf, sagte, wir könnten doch in meine Wohnung gehen und erklärte mir, er wäre mit einem Sonderauftrag unterwegs. Also gingen wir gemeinsam ins Haus und die knarrende Treppe hinauf, die nur unter meinen Füßen knarrte...


Wir setzten uns im Schein der noch brennenden Kerzen an den wärmenden Kohleofen. Dabei beobachtete ich aufmerksam meinen Begleiter, der lächelnd die Engigkeit der Räume betrachtete und sich behaglich in einem Sessel ausstreckte. Der Engel begann zu erzählen:


„Wir Engel machen uns ziemliche Sorgen um euch Menschen. Das Verhalten vieler vor diesem Weihnachtsfest rechtfertigt unsere Sorgen nur zu deutlich. Sag doch selbst, wie oft hast du in der Adventszeit gesehen oder gehört, dass Kinder vor deinem Haus von ihren gehetzten Eltern ohne besonderen Grund ungeduldig angeschrieen oder sogar geohrfeigt wurden?“


Ich nickte beifällig. Das Gezeter unter meinem Fenster war mir allerdings nicht entgangen. So manches Mal hatte ich in Gedanken mit einer der Tomaten aus der Küche als Wurfgeschoss geliebäugelt...

 

„Mir läuft ein kalter Schauer den Rücken herunter, wenn ich nur all die falschen Weihnachtsmänner denke, die in den Geschäften Tag für Tag versuchen, den Kindern voller Ahnungslosigkeit und mit subtilen Tricks ein schlechtes Gewissen einzureden -anstelle ihnen Weisheit, Milde und Güte wenigstens vorzuspielen.“, fuhr der Engel fort. „Wir machen uns ernsthafte Gedanken, viele Menschen machen einen solchen Aufstand um die Weihnachtsgeschenke, das bombastische Essen und den möglichst hässlich geschmückten Weihnachtsbaum, dass ihnen letztendlich kein Raum in ihrem Herzen bleibt, um das Wesentliche in diesem Fest zu erkennen.


Noch dazu wird es in jedem Jahr schlimmer. Mit dem zunehmenden Irrglauben der Erwachsenen, schrumpfen auch unsere Möglichkeiten, wenigstens die Kinder zu erreichen. Sie reagieren inzwischen häufig nur noch auf „groß“, „grell“ und „elektronisch piepsend“!


Glaub mir, das Engeldasein ist echt hart. Wir haben uns schon überlegt, ob wir in diesem Jahr zur Abwechslung die Bescherungen im Batman-Kostüm durchführen sollten, um womöglich mit dem Schlachtruf „Wir sind die Rächer der Entrechteten!“ um den Weihnachtsbaum zu kreisen.


Ich konnte mir bei der Vorstellung dieser bizarren Szene ein Lachen nicht verkneifen. Außerdem gefiel mir die direkte Art des Engels.

„Du hast gut lachen“, sagte er und schmunzelte dabei vor sich hin, „ aber einen Ausweg aus dem Dilemma weißt du bestimmt auch nicht. Wie finden wir bloß einen Zugang zu den verblendeten Kinderaugen, ihren Herzen und denen ihrer Eltern?“


Er schaute mich fragend an.

„Ich kann dir nicht die einzig gültige Superlösung präsentieren“, antwortete ich ihm achselzuckend. Dabei dachte ich an die vielen Menschen, für die Weihnachten alles andere als „Frieden, Vertrauen, Gemeinschaft“ war. Die Einsamen, Verzweifelten, Trauernden, an alle, die sich lieber verkrochen, als diesen Tag zu feiern.

„An eurer Stelle würde ich einen Versuch machen. Änderungen könnt ihr sicherlich nur in kleinem Rahmen erreichen, aber das wäre es bereits wert. Schenkt den Menschen etwas ungewöhnliches Kleines, Faszinierendes. – Nur was?“


Der Engel schaute nachdenklich in die Kerzenflamme, dann streifte sein Blick den Tisch. Plötzlich hielt er inne. „Ich glaube, ich habe eine Idee.“ Dabei nahm er eine der Murmeln in die Hand, die vor ihm auf dem Tisch lagen.


„Wir schenken den Menschen dieses Jahr wunderbar glänzende Murmeln. Wir legen sie einfach ins Weihnachtszimmer und keiner weiß, woher sie kommen. Geht es dir nicht auch so, dass du immer Neues an ihnen finden kannst? Glitzern, Funkeln und Leuchten – immer anders bei unterschiedlichem Licht?“

Ich nickte beifällig.

 

„Meinst du sie fallen im Weihnachtszimmer genug auf?“

„Möglicherweise hast du Recht.“ Der Engel überlegte einen Moment. „Wir können die Murmeln auch am Morgen des 24. Dezembers in die Betten auf die Kopfkissen legen. Sie finden sie bereits beim Aufwachen, wundern sich und fragen sich gegenseitig, woher die Murmeln stammen. Vielleicht lassen sie sich darauf ein, ein bisschen überrascht zu sein und darüber nachzudenken...“


„Versuch es einfach“, sagte ich „ wenn nur ein paar Kinder oder Erwachsene darauf reagieren, habt ihr bereits gewonnen.“

Der Engel schien ganz zufrieden mit seiner Idee. Er saß noch ein paar Minuten da und verabschiedete sich dann. Bei seinem Gehen hörte ich weder das übliche Knarren der altersschwachen Treppe noch das Stolpern über die ewig im Hausflur abgestellten Kartons. Ich denke nicht, dass er daran glaubte, mit der Murmel-Aktion die vielen bedauerlichen Ereignisse um uns herum zu stoppen. Es ging ihm wohl mehr um ein Zeichen der Hoffnung, um den Glauben an die Fähigkeit der Menschen, sich auf Grundsätzliches zu besinnen. Mehr konnte er auch nicht tun, denn die Entscheidung, Konsequenzen aus irgendwelchen Entwicklungen zu ziehen, lag nach wie vor bei uns Menschen.

 

Ich habe ihnnicht wieder gesehen. Ich weiß nicht, ob die Murmeln ihren Dienst erfüllt haben oder ob sie ihn jemals erfüllen werden, doch gerne schließe ich mich seinem „Murmel-Experiment“ zur Weihnachtszeit an und versuche es einfach mal....

 

Wie man anderen Menschen begegnen kann

?

Hinsehen
Geben, was man hat
Im Namen Jesu
Gott loben


In Apostelgeschichte 4 kann man von einer Begegnungen lesen, die veranschaulicht, wie Begegnungen gelingen können:

„Petrus aber blickte ihn (den Lahmen)an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.“

Die beiden Apostel sind gemeinsam unterwegs und begegnen am Tempel einer hilfsbedürftigen Person: Ein Lahmer war wie jeden Tag an den Eingang des Tempels getragen worden, um dort um Almosen zu betteln. Ein Ort, von dem man sich viele Münzen versprach. Immerhin waren es ja lauter fromme Leute, die in den Tempel kamen.

„Petrus aber blickte ihn an.“ Mit dem Anblicken ist nicht einfach ein Anschauen gemeint. Man könnte auch übertragen: „Er blickte ihm fest in die Augen!“ Dann sprechen die beiden Fremden den Lahmen an. „Sieh uns an!“ Jemanden ansehen ist der erste Schritt, damit eine Begegnung zu einem Erlebnis wird. Wenn Menschen sich in die Augen schauen, dann ist das Eis meistens schon gebrochen. „In die Augen schauen“ ist beinahe so etwas wie ein Synonym für „ernst nehmen“. Viele Begegnungen werden nicht zum Erlebnis, weil Menschen sich gegenseitig nicht wirklich ernst nehmen, weil Begegnungen an der Oberfläche bleiben. „Jemandem in die Augen schauen“ ist Ausdruck für persönliches Nahetreten. Nicht zu nahe treten, denn Petrus und Johannes fordern ihr Gegenüber auf „Schau uns an!“ Wer sich nicht auf einen Begegnung einlassen will, den sollte man nicht dazu zwingen.
Um sich einander in die Augen schauen zu können, braucht man meistens Zeit. Nicht immer geht das so schnell wie bei der geschilderten Begegnung.
Der Lahme schaut die Beiden an „und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge“. Natürlich geht es dem Lahmen, wie jeden Tag, wenn er am Tempel sitzt und bettelt, in erster Linie um ein paar Cent, die ihm seinen Lebensunterhalt verbessern sollen. Viele oberflächliche Begegnungen sind so angelegt: Alle Beteiligten möchten Nutzen daraus schlagen. Das ist auch ganz verständlich. Vielleicht kann man diesen kurzen Satz aber auch so interpretieren, dass Menschen, die sich in die Augen schauen, die sich auf eine tiefe Begegnung einlassen, immer etwas voneinander empfangen möchten. Menschen, die sich anschauen sind nämlich gebende Menschen. „Sich anschauen“ ist Ausdruck für persönliche Offenheit. Für Tiefe. Für echte, ehrliche Begegnung. Wenn ein Mensch es zulässt, dass er persönlich angeschaut wird, dann können andere „in seinen Augen lesen“. Wenn man im Leben anderen Menschen „lesen“ darf, dann ist das immer ein Geschenk. Dann merkt man, was echt und aufrichtig ist, was im Leben wirklich zählt. Menschen, die sich auf andere einlassen, die persönlich werden, sind immer Gebende und Empfangende zugleich: Sie geben einen Teil ihres eigenen Lebens preis und „lesen“ im Anderen die Zuwendung, Offenheit und Ehrlichkeit.

"Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir." Petrus scheint keine Münzen dabei gehabt zu haben. Silber und Gold. Äußerliches hat er nicht zu geben. Das, was sein gegenüber eigentlich will. Begegnungen werden dann zu Erlebnissen, wenn wir einander nicht nur Oberflächliches geben (d.h. nicht, dass die Sorge für die Leidenden dieser Welt nicht jeden in der westlichen WeltLebenden umtreiben sollte!).
„Was ich habe, gebe ich dir!“ Wenn Menschen einander das geben, was sie haben, dann ist das mehr als man meinen könnte. Es geht eben nicht um ein äußerliches Geschehen (wie gesagt, die Hilfe für Notleidende ist ein Thema, welches es nicht zu vernachlässigen gilt). Wenn Menschen „geben, was sie haben“, dann geben sie sich selbst. Dann geben sie wirklich alles. Wenn Menschen sich einander öffnen, dann können Begegnungen zu Erlebnissen werden. Auch hier: Offenheit und Ehrlichkeit, innerliche Werte und persönliche Gedanken, Emotionen und Überzeugungen, Glaubensinhalte, Hoffnungen und Träume sind manches Mal mehr als Dollars oder Euros. In Deutschland leben wir in einer reichen Welt. Unsere Welt der Begegnungen ist aber nicht selten verarmt, weil wir in Beziehungen „nicht geben, was wir haben“.

„Im Namen Jesu Christi!“ Das ist das, was Petrus zu geben hat. Petrus ist in seiner ganzen Person von dem bestimmt, mit dem er ein paar Jahre unterwegs war und dessen Anhängerer auch noch geblieben war, nachdem dieser gestorben, auferstanden und „in den Himmel aufgefahren“ war. Wie kann das für Christen heute aussehen, dieses „im Namen Jesu Christi“?
Nicht anders als für Petrus. Das Denken, Reden und Handeln kann von dem bestimmt sein, an den man glaubt. In Begegnungen an Jesus Christus maßnehmen, überlegen, was er getan und gesagt hätte, das bringt auch heute noch Bewegung in Begegnungen. Ob sich dadurch Gelähmte wieder normal bewegen können ist offen. Aber zumindest kommt dadurch eine Bewegung in Begegnungen, die für Überraschung sorgt: „er sprang umher und lobte Gott“.
Das ist einen schöne Zusammenfassung für Lebensfreude.

Begegnungen werden dann zu tiefgreifenden Erlebnissen, wenn Menschen geben, was sie haben und andere zur Lebensfreude befähigen.