"Pastor persönlich", 
das sind Erlebnisse und Gedanken von Carsten Hokema.

 

 

 

 



Mal geht es um ganz Banales, mal um Tiefsinniges. Wer sich darüber freut
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13. - 15. Mai

Der Weg aus Deutschlands Norden nach München zum 2.Ökumenischen Kirchentag ist weit.
Erst spätnachmittags komme ich aus Oldenburg los und werde auf der Autobahn hin und wieder von Fahrzeugen überholt, die das Kirchentagplakat im Rückfenster haben. Ein Hinweis darauf, dass ich die richtige Richtung eingeschlagen habe und dass mit mir viele andere Christen auf dem Weg zum größten Christentreffen Europas sind.

Kurz nach Mitternacht fahre ich bei Augsburg an eine Raststätte, klappe im Auto meine Matratze aus und lege mich für gut fünf Stunden schlafen. Geweckt werde ich gegen 6 Uhr von einer Horde Pfadfinder. Ein eindeutiges Zeichen, dass der Kirchentag nur noch ein paar Kilometer entfernt ist.

Vielen tausend freundlichen Pfadfindern werde ich in den nächsten Tagen begegnen.Siewerden schleppen undschuften, tragen und trällern, heben und helfen, wo sie nur können.Im Waschraum der Raststätte ergibt sich ein erstes freundliches Kirchentaggespräch. Die Pfadis und der baptistische Pfaffe sind sich einig: Wir freuen uns auf den Kirchentag!

Kurz vor München dann eine Sendung im Deutschlandfunk über den Kirchentag. Wie denn die Kirche angesichts der Missbrauchsfälleund der grundlegenden Vertrauenskrise überhaupt Hoffnung haben kann. Das Motto des ÖKT laute doch „… damit ihr Hoffnung habt“.Die Vertreterin des Kirchentagpräsidiums antwortet ruhig und gelassen. Sie redet nichts schön, macht deutlich, dass alle Menschen fehlbar sind. Auch Christen.Als ich in München vor der Baptistengemeinde den Motor ausstelle ist das Interview noch nicht zu Ende. Ich bleibe sitzen und höre eine von Nachfragen unterbrochene kurze Spontanpredigt einer beredten Christin. Minutenlang spricht sie über Jesus Christus, den Grund aller Hoffnung. Sie entfaltet, wie christliche Hoffnung im Alltag konkret wird, dass Menschen bei Gott immer neu anfangen können und dass sie deswegen Hoffnung für Einzelne, aber auch für Kirchen und Gemeinden habe. Radio-Interviews können sehr Mut machend und erbaulich sein.

Erbaulich geht es auch weiter. Gemeinsam mit Mitarbeitern aus München richte ich eine Stunde später die Aufblasbare Kirche des BEFG ganz in der Nähe des Stachus auf, direkt in der Münchner Fußgängerzoneauf.Ein norddeutscher und ein paar bayrische Baptisten können wider alle Sprachbarrieren praktisch zusammenarbeiten und dabei sogar jede Menge Spaß („Freudigkeit“) haben.Das wird mich der Kirchentag in den nächsten Tagen noch des Öfteren lehren: Wenn man sich im Praktischen zueinander hinneigt („Konvgergenz“) dann entsteht Freude.

Den Eröffnungsgottesdienst des ÖKT erlebe ich mit gemischten Gefühlen. Die Gemeinschaft des Gottesdienstes wirkt stärkend. Die Worte vor und nach dem Gottesdienst haben es für mich aber in sich. Ein Grußwort des Papstes wird verlesen. „ Es gibt das Unkraut gerade auch mitten in der Kirche und unter denen, die der Herr in besonderer Weise in seinen Dienst genommen hat." Er lässt die Hörer seines Briefes auch fragen, wie viel Unkraut in ihnen selbst sei und ob man sich von Gott "ändern und heilen" lassen wolle. Während des Gottesdienstes denke ich über mein Unkraut nach. Ich werde wieder sehr aufmerksam, als Bundespräsident Köhler sich nach dem Gottesdienst an die Teilnehmer wendet: „Wenn Christen zusammenkommen, ob im Gottesdienst oder auf dem Kirchentag, dann bekennen sie voreinander und vor Gott ihre Schuld, dann bitten sie um die Kraft zur Erneuerung und Umkehr, dann bitten sie um Gottes Gnade. Das ist heute wichtiger denn je.“

Nachdenklich schließe ich mich dem Strom der Zehntausenden an, die sich unter Begleitung bayrischer Marschmusik in Richtung Innenstadt zum Abend der Begegnung aufmachen. Welch‘ ein Wechsel der Stimmungen und Gefühle. Eine Stunde später tauche ich in die Masse der fröhlichen Kirchentagbesucher ein, treffe die ersten Bekannten und freue mich über den großen Ansturm auf die Ausstellung in der Aufblasbaren Kirche. Ich schlendere durch die überfüllte Innenstadt und spreche dann lange mit einem katholischen Kollegen über die Erfahrungen mit seiner „rollenden Kirche“, ein zur Kirche umgebauter Bauwagen. Jeder ist auf seine Weise in Sachen Evangelisation unterwegs. Wir freuen uns über das Kennenlernen und verabschieden uns herzlich, so, als ob wir uns schon seit Jahren kennen würden.

Fulbert Steffensky. Ich wollte ihn schon immer einmal hören. Seine Veröffentlichungen sind Schwarzbrot für meine Spiritualität. Seine Bibelarbeit zur Geschichte des Regenbogensenthält für mich auch etwas Weißmehl. Dennoch gehe ich gestärkt und zuversichtlich in den Tag. Steffensky hat es geschafft, einen bekannten Text unter Einbeziehung vieler problematischer Lebens- und Weltsituationen so auszulegen, dass ich Hoffnung für mich selbst und für Gottes geliebte Weltmit aus der Veranstaltung nehmen kann. Noch einen weiteren Theologen wollte ich schon immer einmal hören. Und dann auch noch zu einer Frage, die ich mir selbst immer wieder stelle: „Wie Glauben leben?“ Was ist die Mitte des Christseins? Ich mache mich auf dem endlos erscheinenden Messegeländeauf den Weg zu Halle C 1 und treffe drei baptistische Kollegen, die allem Anschein nach auch ihre wahre Freude an den christozentrischen Ausführungen Küngs, an seinen kritischen Spitzen und seinen Bonmotshaben. Eines erinnere ich: „Ich kann mir Jesus beim besten Willen nicht beim Pontifikalamt in Rom vorstellen.“

Gestärkt durch die fundierten biblisch-theologischen Gedankengänge dessympathischen und Weisheit ausstrahlenden Theologen, der sich nach meinem Empfinden allerdings manches Mal auch in seiner Revoluzzer-Rolle selbst etwas zu sehr gefällt, mache ich mich auf den (wieder endlos erscheinenden) Weg durchs Messegelände zu einem Thema, das in manchen unserer Gemeinden zu kleinen oder größeren Revolutionen geführt hat.

„Gemeinschaft in der einen Taufe“. Die Moderatorin begrüßt die Teilnehmer, unter denen sich ausgesprochen viele Baptisten befinden, mit dem Bibelvers „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ aus Epheser 4,5. Professor Raiser erläutert das „Magdeburg-Dokument 2007“ zur gegenseitigen Anerkennung der Taufe, welches u.a. die Baptisten nicht unterzeichnet haben. Ivo Huber, Kirchenrat aus Bayern und Professor Strübind, Oldenburg, erläutern gemeinsam das „Konvergenzpapier“ und dann erklärt Professor Mannion den Teilnehmern die Entstehung und Praxis eines interkonfessionelles Taufzertifikats in Irland. Es folgt ein Podiumsgespräch, an dem auch der Präsident des BEFG, Hartmut Riemenschneider, beteiligt ist. Differenziertund von den Zuhörern interessiert verfolgt reagiert er auf die Fragen aus dem Publikum. Er erläutert das baptistische, kongregationalistische Gemeindeverständnis und verweist u.a. auf den Gesprächsstand innerhalb des BEFG. Mit dem Gedanken, dass das Miteinander der Konfessionen in der Praxis häufig schon gelebt wird, dass jedoch die Theologen und Gemeinden, bzw. Kirchenleitungen noch einen weiten Weg vor sich haben, mache ich mich auf den noch weiteren Weg zur Halle, in der ich den Abendsegen miterleben möchte. Stille. Gebete. Gesang.
Das Erleben der Einheit „in Christus“ runden meinen inhaltlich intensiven Tag ab und lassen mich zur Ruhe kommen.

Spätabends treffe ich mich noch mit einem Freund im Ratskeller. Wir sprechen über unsere persönlichen Sorgen und Nöte. Schweigend treten wir dann wieder in den Trubel der vom Kirchentag geprägten Innenstadt. Von einer Bühne in der Nähe höre ich tröstende Bibelworte. Ein paarhundert Meter weiter singen tausende Christen „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden“. Dankbar suche ich mein Nachtquartier auf.

An den nächsten beiden Tagen arbeite ich am Stand des BEFG in Halle 5 A mit. Der schicke Stand wird belebt durch motivierte Mitarbeiter,die für Gespräche zur Verfügung stehen. Der Infostand wird auch zum Treffpunkt für viele Baptisten, die auf dem ÖKT sind. Familientreffen der Baptisten beim Familientreffen der Christen. Ich habe den Eindruck, dass es mehr Baptisten sind als auf dem 1.ÖKT in Berlin 2003.

Friedbert Neese und ich haben unseren Spaß an der handbetriebenen Apfelschälmaschine, die sich zum Publikumsmagneten des Stands entwickelt und schneiden für unsere Gäste an einem Vormittag gut 400 Äpfel. Fragen wie „Haben die Baptisten das Patent auf diese Maschine?“ bis hin zu theologisch spitzfindigen Fragen werden uns gestellt. In vielen kurzen Gesprächen versuchen wir Antwort zu geben.

Die Anwesenheit des BEFG auf dem Kirchentag ist sinnvoll, denn manches Mal wird vergessen, dass auch die Baptisten zur Ökumene gehören. Sie tanzen zwar nicht nach der Pfeife anderer, haben aber selbst doch eine wunderbare Melodie im Konzert der Konfessionen beizutragen. Und manchmal lernen sie, z.B. auf Kirchentagen, dass das Achten und Ernstnehmen und das Zusammenspiel mit und anderen Melodien eine noch schönere Gesamtmelodie zur „Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen“ ergibt.

Am Freitag Nachmittag bin ich selbst Podiumsgast im „Geistlichen Zentrum“. Kollege Schacht aus Augsburg moderiert eine Veranstaltung, in der es um Fragen der eigenen Spiritualität geht. Ich erzähle, wie ich (normalerweise) Gott erlebe, dass das bei mir mit Begegnungen mit Menschen und mit Begegnungen mit Gott im Gebet zu tun hat. Und mit dem Lesen biblischer Texte. Natürlich mache ich „nebenbei“ auch noch ein wenig Werbung für ein Projekt des Dienstbereich Mission im BEFG. Die anderen Teilnehmerinnen des Podiums sind irgendwie ganz anders als ich. Sie haben einen so ganz anderen Ansatz. Die eine sehr politisch, die andere komplett sozial, die Dritte irgendwie psychologisch-musikalisch-kontemplativ. Ich komme mir nach ein paar Minuten ziemlich fremd vor. Manchmal muss ich Weite lernen. Auch dazu dient der ÖKT.

Zum Abschluss „meines“ Kirchentages (jeder Teilnehmer erlebt einen anderen Kirchentag, da man sich sein ganz individuelles Programm aus den mehr als 3000 Veranstaltungen zusammen stellt) gehe ich noch einmal zu einem Podium zum Thema Taufe. Es wird moderiert vom ehemaligen Präsidenten des BEFG, Siegfried Grossmann. Er macht das wunderbar. So klar und deutlich, so offen und weitherzig, so fundiert und lebensnah. Er bringt die Basis und die Theologen zusammen. Auf dem Podium sitzen lauter schlaue Menschen. Ein armenisch-orthodoxer Theologe, ein protestantischer, ein römisch-katholischer Professor und eine freikirchliche Professorin. Nach dem Statement des Orthodoxen, der sich selbst als einen der liberalsten Vertreter innerhalb der Orthodoxie bezeichnet, denke ichabwechselnd „Au weia, das mit der Ökumene wird wirklich erst im Himmel was!“ und „Alle Baptisten, auch die Konservativsten, sind im Vergleich mit diesem Bruder wirklich außen linksliberal!“. Dennoch freue ich mich über seinen Glauben. Über seine Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit. Es macht mir sogar Freude, diesem Christenvertreter zuzuhören. Gegen Ende des Podiums denke ich nicht mehr „abwechselnd“, sondern nur noch „Unser großer Gott hat wirklich ein sehr weites Herz. Baptisten und Orthodoxe hat er in seinem Gemüsegarten der Konfessionen“.

Beeindruckt bin ich von dem Kurzreferat von Andrea Strübind. Erstens wegen ihrer ausgesprochen ansprechenden, freien, sympathischen, eloquenten und verständlichen Redeweise und zweitens aufgrund ihrer Herangehensweise an das Thema „Leben aus der Taufe – ein Weg zueinander“. Sie nahm kirchengeschichtlich Anlauf, warb um Verständnis für die aufgrund der Geschichte der Baptisten entstandene Minoritätshaltung der Freikirchlicher und auch für die daraus folgende Argumentationsweise in Tauffragenund entfaltete dann das baptistische Taufverständnis.
Eine spannende Diskussion schloss sich an. Eine Diskussion, die Türen aufstieß.

Den Abschlussgottesdienst des 2.ÖKT habe ich leider nicht miterlebt.Aber zeitgleich feierte ich mit den Baptisten in Urbach im Remstal als Auftakt zu einer Evangelisation auch einen schönen Gottesdienst.Wie gut, dass Gott überall seine Leute hat.Gerne bin ich in unseren Gemeinden unterwegs, um das Evangelium weiter zu sagen. In München habe ich es auch durch Christen anderer Konfessionen und durch die Gemeinschaft an vielen Stellen für mich selbst gehört.