"Pastor persönlich", 
das sind Erlebnisse und Gedanken von Carsten Hokema.

 

 

 

 



Mal geht es um ganz Banales, mal um Tiefsinniges. Wer sich darüber freut
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November 2010 II

Langsam breitet sich das Glücksgefühl aus. Das glückliche Gefühl darüber, dass ich in diesem Jahr keine Nacht mehr außer Haus sein werde. Nur noch ein paar Vormittagstermine irgendwo in ein bis zwei Stunden Fahrentfernung. Es hat geklappt, den Terminkalender  von irgendwelchen Auswärtsterminen im Dezember frei zu halten.  Was ich alles machen will! Vier Wochgen zuhause. D.h. Nicht nur, dass ich vier Wochen meine Liebsten jeden Tag sehen werde. Das auch. Und das ist ziemlich klasse.  Abends wird der Kamin nicht mehr kalt werden. Die Rotweinflaschen werden immer in Reichweite sein. Und die Bücher.

Und ich werde mit den Kindern Dinge unternehmen können. Und alle Fahrräder zum x. Mal reparieren. Ich werde kochen (nicht backen) und putzen (die Fenster sind mal wieder dran). Ich werde mit Stine stundenlang spazieren gehen und klönen. Und und und. Und ich werde vormittags etwas wegschaffen können. Jede Menge Aufräumarbeiten. Die Verzeichnisstruktur des Computers, das Büro selbst.

„Das war die Folterkammer!“ Mit diesen Worten kam Enno am Samstag vom Judo-Kader-Training wieder. Und was er erzählte klang wirklich nach Folter. Nachdem er am Wochenende zuvor die Silbermedaille in seiner Gewichtsklasse geholt hatte, wollte der Judolehrer ihn wohl noch weiter nach vorne bringen. Die speziellen Trainigstage für Nachwuchstalente laufen wohl so, dass man immer gegen Bessere antreten muss. Enno hat jeden Kampf verloren. 10 hintereinander. „Da kam so ein Fettklopps auf mich zu und das nächste, was ich gesehen habe waren Sternchen!“ Als nächstes wurde er von einem 6Jährigen in 10 Sekunden fertig gemacht. Zwei Verstauchungen, ein Mattenbrand und eine angegriffene Seele waren das Ergebnis am Abend. Für ihn war es die Folterkammer. Ich habe mir vorgestellt, wie dieser süße Kerl immer noch mal antreten musste, wohl wissend, das er gleich wieder plattgehauen wird. Wir haben versucht, mit ihm darüber zu reden, was so etwas in einem bewirken kann. „Das war kein Judo, das war Wrestling!“ Vielleicht war er ja auf der falschen Veranstaltung?

Ich war in der vergangenen Woche bei der MAK unseres Dienstbereichs in Elstal. Thema war „Armut und Evangelisation“. Echt tolle Vorträge, die tiefer gehen und ein Besuch bei der Berliner Stadtmission, die sich z.B. um Obdachlose kümmern. Ich musste aber auch lernen, dass das Thema Armut nicht so einfach zu durchdringen ist. Eine These war, dass der deutsche Staat schon ausreichend Hilfen zur Verfügung stellt. Mehr finanzielle Hilfe würde die Armut mancherorts noch verschärfen. Gar nicht so leicht zu schlucken, diese Aussage. An einem Abend hat Michael Rohde ein Referat gehalten. Armut im AT. Echt echt klasse. Gott ist ein Gott, der immer Gerechtigkeit möchte. Die Schwachen und Armen liegen ihm besonders am Herzen. Mitch hat es geschafft ohne klebrige Mitleidsgefühle die Ernsthaftigkeit des Gerechtigkeitswillens Gottes deutlich zu machen. Ich bin mal wieder begeistert vom Gott der Bibel.

Für mich war es nicht einfach, dass Gunnar nicht die ganze Zeit mit in Elstal war. Wegen einer Beerdiging musste er bereits am Donnerstag abreisen. Ohne ihn fühle ich mich komplett anders im DB Mission. Echt gut, dass er normalerweise dabei ist.

Samstagabend war ich dann wieder zuhause und gestern habe ich mich nochmal auf den Weg nach Elsmhorn gemacht. Gottesdienst und „Gottes geliebte Menschen“ vorstellen. Das war - aus meiner Sicht - schön und rund und fröhlich. Vor allem habe ich mich gefreut, Grete wieder zu sehen. Sie ist die Witwe meine Kollegen, mit dem ich ein paar Jahre in meiner ersten - und einzigen Gemeinde - zusammen gearbeitet habe. Wir haben so viel, das uns verbindet. Wir haben uns nach vielen Jahren wieder gesehen. Wir haben uns umarmt, kaum wieder losgelassen und waren nach 2 Sekunden bei den wesentlichen Themen unseres Lebens. Grete ist einer der Menschen, denen ich voller Hochachtung und Respekt begegne und von denen ich denke, dass es ein Vorrecht ist, dass ich sie kennen darf. Auch ihre Kinder und Enkelkinder habe ich getroffen und gesprochen. Ich hätte ihnen vielleicht noch sagen sollen, dass ich zu ganz besonderen, für mich wichtigen und bedeutenden Predigten oder Anlässen immer Herberts Schuhe anziehe. Ein paar seiner Predigtschuhe hat Grete mir kurz nach seinem Tod geschenkt. Gemeinsame Geschichte verbindet.

Auf dem Nachhauseweg wäre ich beinahe zum Amokfahrer geworden. Gut eine Stunde Stau vor dem Elbtunnel. Und das nur, weil diese Deppen nicht zügig in den Elbtunnel reinfahren, in der Mitte verlangsamen und dann noch langsamer - womöglich mit 200 Meter Abstand zum Vordermann - rausfahren. Ich muss mir nicht den Nachmittag mit der Familie von irgendwelchen Fahranfängern rauben lassen!

Na ja, als ich in Oldenburg ankam war ich schon wieder runter gekocht. Ich war erstmal anderthalb Stunden mit Stine spazieren.

Und abends dann noch einmal das Thema Armut. Die Kinder hatten sich den Film „Slumdog Millionär“ gewünscht. Nach 5 Minuten haben wir ihnen vorgeschlagen, den Rest nicht zu schauen. Wollten sie auch nicht mehr. Wir haben den Film gesehen. Meine Seele kann solche Filme schlecht ab. Die indische Realität von armen Menschen kam mir zu nah. Armut ist ein Thema, welches ich normalerweise so gut verdränge ... .

Mit dem sich langsam ausbreitenden Glücksgefühl, aber auch mit den Gedanken an Armut gehe ich in die neue Woche.